Zehn Tage nach der Veröffentlichung der Pilotstudie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche hat sich die Fachgruppe «Männerarbeit im kirchlichen Kontext» mit einem Communiqué zu Wort gemeldet. Ihr Mitgefühl und ihre Solidarität galt in erster Linie den Betroffenen, aber gleichzeitig warnten sie davor, das Entsetzen allein auf die Täter zu konzentrieren.
Daniel Ammann und Christoph Walser zeichneten das Communiqué als Co-Leiter der Fachgruppe. Sie setzen sich seit den 1990er Jahren mit dem patriarchalen System und dessen feministischer Kritik auseinander und finden Antworten und Ansätze aus männlicher Sicht. Die Stimme von Männern, die sich für die Kirche interessieren, fehle im Diskurs zum sexuellen Missbrauch. Zu hören seien fast ausschliesslich Stimmen von Klerikern, kritisierten die beiden. Als reformierter Pfarrer und katholischer Seelsorger leisten sie kirchliche Männerarbeit an der Basis und vernetzen und beraten Fachleute in der kirchlichen Männer-, Väter- und Jugendarbeit.
Fünf Monate später findet nun eine Tagung zu Sexualität und Spiritualität in der Paulus Akademie statt. Wo Sexualität und Spiritualität zusammenkommen, sehen die Organisatoren den fruchtbaren Boden für eine konstruktive Prävention gegen Missbrauch. Denn allein mit Richtlinien, Massnahmen und Sanktionen, wie sie in den Schutzkonzepten der Bistümer formuliert sind, sei es nicht getan. «Das Problem liegt unter der Haut, in den Körpern der Menschen», sagt Christoph Walser. Die Bilder von Männlichkeit und die religiösen Prägungen haben die Menschen verinnerlicht. Er kritisiert, dass das Thema Missbrauch nicht in Zusammenhang mit Männlichkeitsbildern diskutiert wird.
Ideen zu einer neuen Perspektive auf die männliche Sexualität haben Daniel Ammann und Christoph Walser schon lange. 2013 haben sie am Männertag in Hertenstein (LU) ein «Sex Manifest» verabschiedet. Das beginnt damit, dass es den Mann als ein sexuelles Wesen ernst nimmt. Lust wird darin als Lebenskraft verstanden und sexuelle Erfüllung als Geschenk. Die sexuelle Bildung als lebenslanger Prozess, dem der Einzelne und die Gesellschaft verpflichtet sind. Das Manifest endet damit, dass sich die Verfasser verpflichten, über Sexualität zu sprechen, damit so realistische Bilder männlicher Sexualität sichtbar werden.
Männer, die sich entschliessen, Priester zu werden, fällen ihren Entscheid in einer Phase ihres Lebens, in der sie am Anfang ihrer sexuellen Entwicklung stecken, sagt Christoph Walser. Sexologisch sei klar, dass die Unterbrechung dieses Prozesses negative Folgen habe. «Priester gelten als die spirituellen Spitzensportler.» An ihnen sollen sich alle Männer orientieren. «Je weniger sexuell, umso spiritueller» sei das Motto der priesterlichen Sozialisation. Christoph Walser hat in seinen Seminaren erfahren, wie viele Männer – nicht nur Priester – dieses Bild von Männlichkeit in sich tragen und daran leiden.
«Die Sexualität ist unter Druck», sagt Christoph Walser, «nicht nur durch die religiöse Dimension.» Seit der Aufklärung mit ihrer kontrollierenden Vernunft und dem Kapitalismus, der den Sex zum Konsumgut mache, sei es umso wichtiger, die spirituelle Dimension der Sexualität wiederzufinden.