Demokratie ist kein Selbstläufer

Editorial

Demokratie ist kein Selbstläufer

Ist es wirklich notwendig, dass wir für die Demokratie auf die Strasse müssen?

Deutschland wurde in den letzten hundert Jahren zweimal von einer Diktatur beherrscht. Es verwundert deshalb nicht, dass seine Bevölkerung besonders sensibel auf Versuche reagiert, die demokratische Grundordnung auszuhebeln. Und so geht nun also die sonst meist schweigende Mehrheit auf die Strasse. Sie demonstriert nicht für eine bestimmte Partei, sie kämpft für die Demokratie.

Ich gehöre zu jenen Menschen, die sich von Demonstrationen fernhalten. Einerseits weil ich mich in der Masse nie wohlfühle. Andererseits – und ganz ehrlich gesagt – aber auch, weil ich mir fürs Demonstrieren oft zu schade bin. So mit der Haltung: Es wird doch wohl genügen, wenn ich mich für selbstverständliche Werte ganz selbstverständlich in meinem Wirkungskreis einsetze. Ich muss dafür kein Plakat vor mir hertragen.

Aber nun bin ich daran, meine Haltung zu überdenken. Weil es Minderheiten gibt, die selbstherrlich penetrant behaupten, die Stimme des Volkes zu sein und mich damit ungefragt vereinnahmen. Wenn die Mehrheit schweigt, weil sie sich auf dieses Niveau nicht herablassen will, kommt das den Selbstherrlichen gerade recht. Ihnen muss man offenbar Einhalt gebieten, in dem man laut und deutlich seine eigene Stimme erhebt. Und sei es nur, um zu erreichen, dass die Abbildung der Mehrheitsverhältnisse in den Medien zurechtgerückt wird.

Demokratie ist kein Selbstläufer. Demokratie ist kein Recht, für das ich nichts tun muss. Unter Umständen muss ich dafür auch auf die Strasse. Im Allermindesten dann, wenn es darum geht, von meinem Wahlrecht tatsächlich Gebrauch zu machen.

Text: Thomas Binotto