Vor kurzem waren sie wieder einmal zum Nachtessen bei uns, vier meiner Freunde aus Zeiten der Primar- und der Mittelschule. Wir alle hatten im Alter von Mitte zwanzig, kurz nach unseren Studienabschlüssen, unsere Jugendlieben geheiratet. Drei der vier Freunde verloren ihre Frauen schon recht früh, zwei davon heirateten später wieder, einer blieb Witwer.
Meine Frau und ich haben seit unserer Heirat gemeinsam sehr viele Menschen kennen gelernt, mit denen uns eine herzliche Bekanntschaft verbindet. Auch Freundschaften? Ja, aber nicht die tief vertraute Freundschaft aus unserer Jugendzeit.
Woher kommt diese Bindung aus frühen Lebensjahren? Warum sind die späteren Freundschaften, die in meinem Berufs- und Familienleben wuchsen, zwar wertvoll, aber doch nicht dasselbe wie die Schulfreunde aus meiner Jugendzeit?
Lasst mich auf Spurensuche gehen: Von der Kindheit bis zum Erwachsenwerden sind wir aus einem sehr formbaren Stoff. Haben wir dann eine gewisse Form erreicht, nennen wir uns erwachsen. Wir bleiben weiterhin formbar, nie mehr aber so wie in der ersten Lebensphase. Neue Eindrücke hinterlassen weiterhin Spuren. Sie bleiben aber eher an der Oberfläche. Sie formen uns nicht mehr tiefgreifend um.
Hier sehe ich den Grund dafür, dass spätere Freundschaften wertvoll, aber nicht so tiefgreifend sind wie die frühen.
Wie eingangs erwähnt, heirateten wir alle kurz nach Studienabschluss. Bereits damals war uns klar – ohne uns abzusprechen –, dass wir alle mit unseren Frauen und – so schon vorhanden – mit Kind in die Ferne wollten. Drei zog es nach den USA, einen nach Brasilien, meine Frau und mich nach Peru. Da die Reisen sehr teuer waren, hatten wir keine Ahnung, wann und ob wir unser Schweizerland je wiedersehen würden.
Wir waren Auswanderer, die den Kontakt mit ihren Eltern per Briefpost aufrechterhielten. Es waren Briefe mit extradünnem Briefpapier, um teure Posttarife zu sparen.
Unsere berufliche Entwicklung brachte uns alle jedoch nach Jahren als Auslandschweizer wieder heim in die Schweiz, jetzt aber nicht mehr als jung verheiratete Paare, sondern als Fami-lien mit zwei und drei Kindern. Da und dort kam dann noch ein weiteres in der Schweiz dazu. Wir alten Freunde mit den jungen Familien trafen uns wieder.
Wie gesagt: Vier dieser Freunde waren letzthin bei uns zum Nachtessen. Mitte 80 gehören wir zu den Alten, nach früherer Zeitrechnung zu den Greisen. Zeichen von Gebrechlichkeit sind da und dort unübersehbar. Und doch fühlen wir uns verbunden wie eh und je. In einer tiefen Vertrautheit, wie wir sie sonst höchstens noch mit Eltern und Geschwistern kennen.