Auf dem Platz zwischen dem Pfarreizentrum und der Kirche Liebfrauen steht an diesem lauschigen Frühsommerabend eine lange Tafel. Daneben locken am Buffet immer mehr Speisen in allen Farben und aus aller Welt, aber auch ganz einfach Brot, Käse und Oliven. Nach und nach trudeln junge Menschen und solche mittleren Alters ein, begrüssen sich herzlich, stellen sich einander vor. Schnell wird klar: das ist keine eingeschworene geschlossene Gesellschaft. Hier treffen sich Menschen, die offen und interessiert andere kennen lernen möchten.
«Ich geniesse dieses Zusammensein», sagt Aleksandra. Die junge, elegant in Schwarz gekleidete Polin, arbeitet als Consultant auf einer Bank und unterhält sich auf englisch: «young professionals with the same values» seien hier, junge Berufstätige mit denselben Werten, aber bunt gemischt, Frauen und Männer, von dreissig bis über 50 Jahren. «Hier bauen wir uns ein Netzwerk auf mit Menschen, denen der Glaube wichtig ist», sagt Jeannette aus Zürich. Die Hochbauzeichnerin ist seit dem Start der Initiative «table de cana» dabei. Mathias Kaiser habe die Idee schon lange mit sich herumgetragen, und als er ihr im letzten Herbst davon erzählte, war sie begeistert. Der gebürtige Franzose kennt solche Tafelgemeinschaften aus Frankreich. «Mir ist aufgefallen, dass die Kirche viele Angebote für Familien oder ältere Menschen hat, aber sozusagen nichts für Menschen wie mich, die berufstätig und alleinstehend sind.» So hat er einfach begonnen, zuerst zu Hause, dann hier in Liebfrauen. Der Aufwand sei minim: er muss sich nur um den Schlüssel kümmern und sicherstellen, dass zum Schluss alles aufgeräumt ist. Und die Idee der gemeinsamen Tafel, immer am zweiten Sonntag im Monat, per Website, in den Pfarreien und unter Bekannten verbreiten. Das Konzept ist denkbar einfach: Wer teilnimmt, bringt etwas zum Essen oder zum Trinken mit und stellt es aufs Buffet.
Bald sind gut 30 Leute anwesend. Maria Margareta holt zusätzliche Stühle und das nötige Gedeck, schaut aufmerksam, dass alle einen Platz finden. Die Frau mit der schicken grauen Kurzhaarfrisur arbeitet im Altersheim. Sie ist heute zum ersten Mal dabei, hat aber bereits für alle nächsten Termine der «table de cana» arbeitsfrei beantragt – so toll findet sie das Angebot. Alle Augen richten sich nun auf Mathias: er zieht mit einem zirkusreifen Trick ein unendlich lang scheinendes weisses Band aus seinem Mund. Alle lachen, dann beginnt das Essen mit einem einfachen Gebet.
Auch Sardar fühlt sich hier wohl. Der Banker stammt aus Afghanistan, wo er – frei und ohne Zwang, wie er betont – den Islam kennen lernte. In der Schweiz besuchte er das Gymnasium in einem katholischen Internat. Sardar stellt fest, dass viel Unheil geschieht, wenn Religionen Macht bekommen. Das grösste Gottesgeschenk sei der Zweifel. An der «Table de cana» nimmt er ein inneres Leuchten, eine Reinheit und Echtheit in den Menschen wahr, die ihr Leben auf den Glauben gründen. Solche Menschen zu treffen, mache Freude und gebe Hoffnung.
Dunkle Wolken am Himmel stören die bunte Gemeinschaft nicht, nötigenfalls kann man schnell ins Pfarreizentrum wechseln. Mit dem Dessert in der Hand gruppieren sich die Leute neu, sitzen und plaudern noch lange zusammen unter den Bäumen vor der grossen Stadtkirche.