«Hindus in der Kultur – Christen in der Religion»

Schwerpunkt

«Hindus in der Kultur – Christen in der Religion»

Syro-malabarische Christinnen und Christen pflegen eine uralte christliche Tradition, die  von den Kolonialmächten lange unterdrückt wurde.

Vor der Wallfahrtskirche in Egg steigen indische Familien aus ihren Autos und bringen die Kinder in den Religionsunterricht. Im Vorraum beim Hintereingang der Kirche sitzt Sebastian Parackal vom Pfarreirat der indischen syro-malabarischen Gemeinschaft im Zürcher Oberland. Vor sich hat er ein Heft, gefüllt mit syrischen Schriftzeichen. Er ist gerade an der Reinschrift des Jahresberichts seiner Gemeinschaft. Nach dem heutigen Gottesdienst wird sich nämlich die Gemeinde zur Wahl von neuen Pfarreiratsmitgliedern versammeln. Dort wird er den Jahresbericht verlesen.

Eigentlich haben wir uns mit dem Priester Sebastian Thayyil verabredet. Er sei aber gerade zu den Kindern in den Religionsunterricht gegangen, informiert uns Parackal. Frieda Ambalathattil, die heute dafür vorgesehen war, ist krank. Also übernimmt Thayyil den Unterricht.

Inzwischen erklärt mir Sebastian Parackal, wie die syro-malabarische Gemeinschaft im Zürcher Oberland organisiert ist. Alles basiert auf ehrenamtlicher Arbeit. Einige Freiwillige amten gemeinsam als Sakristane und bereiten alles für den Gottesdienst vor.

Die Pfarreiratsmit-glieder organisieren die grossen Feste: den St.  Thomas Day am 3. Juli, das Marienfest Rosa mystica am 13. Juli und das Josefsfest am 19. März. Immer mit Prozession, Gottesdienst und Imbiss im Pfarreisaal. Nebst den grossen Festen gibt es immer am 13. jedes Monats eine Hausgebetsgruppe, die den Rosa-mystica-Rosenkranz betet, und am 19. jedes Monats eine digitale Gebetsgruppe im Gedenken an den hl. Josef. «Weihnachten, Ostern und Pfingsten feiern wir aber in den katholischen Gemeinden, dort, wo wir wohnen», betont Parackal. Die Integration und aktive Mitarbeit in den Pfarreien vor Ort ist ein Charakteristikum der syro-malabarischen Gemeinschaft.

Inzwischen hat Sebastian Thayyil doch noch Zeit für uns gefunden. Er bittet uns in die Sakristei und erklärt während des Umkleidens für den Gottesdienst noch einige Details. Nach dem Gottesdienst muss er nämlich sogleich zur Pfarreiversammlung, und anschlies-send feiert er die normale Abendmesse der Pfarrei hier in Egg. Er ist mit 20 Prozent für die Koordination der Seelsorge für alle syro-malabarischen Christen in der Schweiz angestellt. Seinen Auftrag erhält er von Migratio, der Dienststelle der Schweizer Bischofskonferenz für Migrantinnen und Migranten. Ausserdem ist er mit weiteren 20 Prozent priesterlicher Mit-arbeiter in Egg und mit 60 Prozent Vikar in Näfels. «Die katholische Kirche besteht aus 24 Kirchen, die mit dem Papst in Gemeinschaft stehen. 23 davon sind katholische Ost-Kirchen und nur eine die römisch-katholische Kirche», betont er. «Die Ost-Kirchen haben alle eine eigene Tradition, eine eigene Hierarchie, eine eigene Liturgie.» Die syro-malabarische Liturgie ist eine der ältesten. Und ihre Sprache ist die Sprache Jesu: Aramäisch. «Wir feiern jedoch heute unsere Liturgie in der indischen Sprache Malayalam, damit alle sie verstehen», erklärt Thayyil. «Die zweite Generation hat sich gewünscht, auch in Deutsch feiern zu können. So haben wir die Liturgie auf Deutsch übersetzt.» Das Besondere an der syro-malabarischen Gemeinschaft bringt Thayyil so auf den Punkt: «Wir sind Hindus in unserer Kultur – Christen in unserer Religion – und Orientalen in unserer Liturgie.» Die Gemeinschaft untereinander sei ihnen wichtig, um an ihren religiösen und familiären Werten festzuhalten, sagt Thayyil. «Manche haben Angst, dass die europäische Gesellschaft solche Werte verlieren könnte.»

Dann macht er sich mit den Ministrantinnen und Ministranten, dem Kantor und der Lektorin auf den Weg zum Altar, unter dem festlichen orientalischen Gesang der Gemeinde.

Text: Beatrix Ledergerber