Fronleichnamsprozession? An manchen Orten gibt es sie noch. Die meisten sind heute klein und unscheinbar. Statt etablierte einheimische Tradition zu verkörpern, fallen sie sogar an katholischen Orten eher als Kuriosum ins Auge.Im Zentrum jeder Prozession steht der Leib Christi in Form einer Hostie, zur Schau getragen in einer kostbaren Monstranz. Andernorts auf der Welt nennt man den Feiertag «Corpus Christi», lateinisch für Leib Christi. Klingt grundsätzlich verständlicher als unser Name Fronleichnam, der vom Mittelhochdeutschen abgeleitet ist: von «vron» für Herr und «licham» für Leib. Was genau «Corpus Christi» meint, ist dann allerdings die nächste Frage. Die Wurzeln dieser Vorstellung sind biblisch. Fronleichnam mag Anregung sein, sie in Erinnerung zu rufen.
Alles beginnt damit, dass es keinen Christus-Leib ohne Christus geben kann. Mit diesem Christus sind viele Hoffnungen verbunden. Diese Hoffnungen gilt es in den Blick zu nehmen, wenn vom Christus-Leib die Rede ist. Sie begegnen uns in alttestamentlichen Texten – da, wo gehofft wird angesichts der Erfahrung von Unrecht und von daraus resultierendem Leid. Christushoffnung ist ein beharrliches Hoffen darauf, dass auf der Erde irgendwann jemand das Ruder übernimmt, der es gut meint mit den Menschen und der Welt. Jemand, der dies im Auftrag und Geist Gottes und daher als Gesalbter Gottes tut (griechisch «christos», hebräisch «meschiach»). In fantastischen, berühmt gewordenen Bildern beschreiben Verse im Jesajabuch die Friedensdynamik, um die es geht: Ein Wolf kann dann beim Lamm Schutz finden, ein Panther beim Böcklein liegen. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleines Kind hütet sie. Es geht um Schutz, Sicherheit, ein gesegnetes Leben für alle.
Im Menschen Jesus von Nazaret haben damalige Menschen genau diesen erwarteten Christus verkörpert gesehen – er war für sie Christus-Leib und ist dies für sie über seinen irdischen Tod am Kreuz hinaus geblieben. Es entstand daraus die Jesus-Messias-Bewegung, ein Zweig schriftgläubiger Menschen, die später Christinnen und Christen genannt wurden. Dass durch die Taufe auch sie – und damit auch wir als heutige getaufte Christinnen und Christen – Christus-Leib sind, ist eine Vorstellung, die wir in den neutestamentlichen Briefen von Paulus entfaltet finden. Dieses Bild ist kraftvoll und herausfordernd zugleich. Kraftvoll, weil es grundsätzlich alle Menschen als Trägerinnen und Träger von Gotteswirklichkeit ernst nimmt, herausfordernd, weil es einen hohen Anspruch an Menschen stellt, wenn wir an die konkreten Inhalte der Christushoffnung denken.
Hat die Hostie, die an Fronleichnam im Zentrum steht, mit all dem Gesagten etwas zu tun? Vor dem Hintergrund der biblischen Vorstellungen bildet sie für mich eine Brücke: Im Gottesdienst feiern wir das Gedächtnis an den Christus-Leib Jesus. Das Empfangen der Kommunion wiederum lässt uns spüren, wie wir – gestärkt durch Jesus Christus – als versammelte Gemeinschaft zum Christus-Leib werden, herausgefordert, im Hier und Jetzt Gotteswirklichkeit zu verkörpern.