forum: Michael Meier, Anfang April ist Ihr Buch erschienen «Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist», es ist Ihr Erstling. Pater Batlogg, Sie haben mehrere Bücher zum Pontifikat verfasst und betreiben einen Franziskus-Blog. Warum lohnt es sich, sich so intensiv mit der Figur des Papstes auseinanderzusetzen?
Michael Meier: Papst Franziskus ist zweifellos eine Weltfigur. Man hält ihn für einen Reformer, der an der Kurie aufläuft. Schon als Marco Politi 2014 sein Buch «Franziskus unter den Wölfen» veröffentlichte, dachte ich: Er ist doch vielmehr selbst ein Wolf unter Wölfen. Ich reibe mich an ihm und an diesem falschen Bild des Reformers. Er ist vielmehr ein Seelsorger, der falsche Erwartungen weckt.
Andreas Batlogg: Als ein Jesuit zum Papst gewählt wurde, war ich erst sprachlos, denn das ist nicht vorgesehen. Es war eine neue Situation in der Geschichte. Franziskus sprach in neuen Bildern und Metaphern, schon in seiner kurzen Rede im Vorkonklave, wo er die um sich selbst kreisende Kirche und den theologischen Narzissmus kritisierte. Ich finde, er hat seinen Worten durchaus Taten folgen lassen und Inhalte gesetzt, die allerdings nur noch durch den Schleier der Enttäuschung wahrgenommen werden, weil wir eine Reformagenda im Kopf haben, die sehr deutschsprachig ist.
Das Papsttum als absolute Monarchie ist ziemlich aus der Zeit gefallen. Welche Bedeutung hat eine Papstfigur in unserer Welt?
Meier: Eine archetypische Bedeutung. Er ist wohl der bekannteste Religionsführer der Welt und es wird erwartet, dass er sich politisch äussert, obwohl er kein gewählter Politiker ist. Franziskus hat die christliche Botschaft wieder stärker akzentuiert als seine Vorgänger, indem er zu den evangelischen Werten zurückgegangen ist.
Messen Sie ihm neben einer symbolischen Bedeutung auch eine realpolitische zu?
Meier: Gott sei Dank nicht. Wenn ich zum Beispiel auf sein Vorgehen im Ukrainekrieg schaue, dann wirkt das wie billiger Pazifismus auf mich und ich möchte nicht, dass diese Vision real-politische Konsequenzen hat.
Batlogg: Ein Papst kann appellieren, bitten, anregen, motivieren und überzeugen durch das, was er sagt und tut. Für mich hat Franziskus die Kirche jesuanischer gemacht und er kommt bei den Menschen gut an. Ich meine, sein Ansehen ist ausserhalb der Kirche grösser als innerhalb. In einem langen Pontifikat – das aktuelle ist nun schon im zwölften Jahr – nützt sich manches natürlich auch ab.
Ein langes Pontifikat könnte allerdings auch ermöglichen, dass ein Papst wirklich etwas verändert.
Meier: Franziskus hat klimatisch viel verändert, in der Substanz und in der Lehre ist alles beim Alten. Die Frauenfrage, der Umgang mit Homosexuellen, mit Geschieden-Wiederverheirateten – sämtliche Reformthemen sind unbeantwortet geblieben. Auch den synodalen Weg in Deutschland hat er ins Leere laufen lassen.
Batlogg: Das teile ich nicht. Es ist überall etwas weitergegangen. Mit der klimatischen Veränderung beginnen eben Reformen. Franziskus hat vor allem Prozesse in Gang gesetzt, die Kurienreform ist ein Beispiel dafür. Er hat aber durchaus auch in die Lehre eingegriffen. Er hat das Kirchenrecht verändert mit dem Motu proprio «Vos estis lux mundi» in Sachen Missbrauch, dass Bischöfe sich strafbar machen, die bei Verdacht nicht aktiv werden. Er hat den Weltkatechismus in Bezug auf die Todesstrafe geändert. Natürlich, es gibt noch immer keine Frauen, die Diakoninnen und Priesterinnen sind. Aber er hat den Frauenanteil im Vatikan um 30 Prozent erhöht, und zwar hat er sie in Dikasterien installiert. Das ist nicht wenig, auch hinsichtlich der Synodalität. Es geht da nicht um einen Parlamentarismus, sondern um eine neue Haltung, wie wir aufeinander hören. Dass er immer wieder sagt «cum et sub Petro», mit und unter dem Papst, das ist nur natürlich.
An der Amazonassynode hatte sich eine Mehrheit der Bischöfe für «Viri probati», für verheiratete Männer, als Priester ausgesprochen – und der Papst geht in Folge nicht einmal darauf ein. Was sagen Sie dazu?
Batlogg: Das hat mich sehr enttäuscht. Ich meine, er hat kalte Füsse bekommen, weil er realisiert hat, dass andere Weltregionen die gleiche Forderung stellen würden. Die Kirche hätte auseinanderbrechen können.
Meier: Absolut richtig, die Kirche würde sich spalten. Auch wenn die Frauenordination eingeführt werden sollte, käme es zur Kirchenspaltung, ganz klar. Aber: Immer wieder gab es Spaltungen, zuletzt mit den Lefebvrianern – warum nimmt man sie nicht ein weiteres Mal in Kauf? Nichts machen heisst umgekehrt, zumindest die westliche Welt zu verlieren. Die Frauenfrage ist weltweit virulent.
Warum ist es Ihnen wichtig, Herr Meier, dem Image von Franziskus als Reformer etwas entgegenzuhalten?
Meier: Ich verstehe, dass Menschen, die in der Kirche sind oder von der Kirche angestellt, gerne weiterhin daran glauben möchten, dass die Reformen noch kommen werden und dass es einen Papst an der Spitze gibt, der sie dorthin bringt und die Kirche wieder gesellschaftlich anschlussfähig macht. Da bin ich der Advocatus Diaboli, oder sagen wir der Spielverderber, der sagt: Nein, das wird nicht geschehen, auch nicht unter einem Nachfolger von Franziskus.
Warum sind Sie sich da so sicher?
Meier: Weil es bei all den Reformanliegen, die Benedikt XVI. den «Kanon der Kritik» genannt hat, um Alleinstellungsmerkmale der römisch-katholischen Kirche geht, die diese nicht auf-geben will.
Was motiviert Sie, Herr Batlogg, Ihren Blick auf die Beweglichkeit der Kirche zu richten und Veränderungen zu sehen?
Batlogg: Mein Eindruck, dass Franziskus tatsächlich Entwicklungen auf den Weg gebracht hat. Wäre er sonst von konservativen Kreisen unter Häresieverdacht gestellt worden? Das gab es zuletzt am Konzil von Konstanz im 15. Jahrhundert. Franziskus bringt Perspektiven auf, ich fasse sie unter die drei Begriffe Weltreligionen, Weltfrieden und Weltklima. Das sind globale Themen, die das katholische «Kleinklein» um Personalien in den Hintergrund treten lassen.
Franziskus hat viele neue Kardinäle ernannt, die, wie Michael Meier schreibt, meist nicht aus Europa stammen, sozial engagiert sind – und allesamt nicht reformorientiert. Wenn Sie sich den nächsten Papst möglichst konkret ausmalen: Wer wird er sein?
Meier: Aus dem Süden, konservativ in der Lehre, engagiert für die Armen. Vielleicht kehrt er zurück zu etwas mehr Ordnung.
Batlogg: Ich hoffe, dass er aus dem Süden stammt, und ich hoffe das, weil man dort anders denkt und tickt. Meine Forderung wäre, dass er das Erbe von Franziskus weiterführt und noch mehr davon in die Tat umsetzt. Warum zum Beispiel nicht Frauen im Konklave zur Wahl zulassen?
Welchen Stellenwert hat die Autorität des Papstes für Sie persönlich?
Meier: Ich bin selbst nicht katholisch und der Papst hat wenig Autorität für mich. Ich frage mich schon, warum ich mich dann so an ihm reibe. Vielleicht habe ich ein Autoritätsproblem? Überhaupt haben Institutionen wenig Einfluss auf mein Glaubensleben.
Was das früher anders?
Meier: Nein, das war immer so.
Welche Autorität hat der Papst für Sie, Herr Batlogg?
Batlogg: Ich bin katholisch getauft und auf-gewachsen, noch ganz traditionell. Für mich ist der Papst eine Einheitsfigur, Bischof von Rom und deshalb Papst. Dieses Amt ist eine Riesenchance, ähnlich wie jenes des UNO-Generalsekretärs, der durch seine Autorität wirken kann. Der Papst ist für mich eine Autorität. Allerdings muss sein Amt weiterentwickelt werden.
In welche Richtung?
Batlogg: Es muss realistischer werden. Der Papst hat eine monströse Herkulesaufgabe, der kein Mensch gewachsen ist. Gleichzeitig: Wenn ich heute das Argument höre, wir haben von Christus her nicht die Autorität, Frauen zur Weihe zuzulassen – das glaube ich einfach nicht mehr, ich finde das eine ungeheuerliche Anmassung. Mit welcher Autorität sagt der Papst das?
Heisst diese Weiterentwicklung dann auch eine eigene Emanzipation als Gläubiger?
Batlogg: Ja, die eigene Emanzipation gehört dazu.
Leserbrief
Ich verstehe nicht, wie dieses Buch im Pfarrblatt vorgestellt werden kann – es macht mich auch wütend. Von Andreas Englisch habe ich das Buch «Das Vermächtnis von Papst Franziskus» gelesen. Da habe ich erfahren, wie Papst Benedikt (er verdient den Namen Papst nicht) mit seinem Clan sehr vieles verhinderte und ihm dreinredete. Franziskus war und ist machtlos, denn gewisse Kardinäle arbeiten immer noch gegen ihn. So etwas nennt sich Kirche – und ist doch nur Mobbing. Papst Franziskus berührt die Menschen mit seiner Offenheit und Herzenswärme und seiner Toleranz. Er ist das Beste, was die Kirche im Moment hat.
Regina Härtsch, Uster