Es scheint, als habe sich in mancher Redaktionsstube die Überlegung durchgesetzt, dass es relevant sei, dem Publikum christliches Basiswissen zu vermitteln. Und manchmal, darüber hinaus, wird dabei sogar der Bezug zum jüdischen Shavuot hergestellt.
Warum Juden und Jüdinnen die Herabsendung der Tora feiern, ist leicht nachzuvollziehen. Mit Pfingsten verhält es sich um einiges schwieriger. Jeder Versuch, mir ein intellektuelles, intuitives oder theologisches Verständnis für dieses Fest und das dahinterstehende Ereignis zu erarbeiten, ist bisher gescheitert. Hier mögen sich tatsächlich die Grenzen des interreligiösen Verstehens zeigen oder auch einfach meine ganz persönlichen Limiten. Andererseits haben mich viele Artikel und auch persönliche Gespräche mit christlichen Freundinnen und Freunden dahingehend bestätigt, dass Pfingsten selbst für Menschen christlichen Glaubens schwer verständlich ist und dass die theologischen Interpretationen des Pfingstereignisses und die zugewiesene Bedeutung des Festes weit auseinanderliegen können. Es ist daher sinnvoll, darüber nachzudenken und zu diskutieren, wie überhaupt religiöse Traditionen lebendig bleiben und auch von Mainstreammedien aufgenommen werden.
Stutzig gemacht hat mich dennoch der Titel der Online-Ausgabe einer Zürcher Tageszeitung: «Was feiern wir an Pfingsten?». Wir? Also bitte! Ist ein solches Wir adäquat in einem Land und in einer Zeit, wo sich die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr explizit kirchlich gebunden versteht und auch die christliche Identifikation infrage steht? Hat sich hier vielleicht die Redaktion als «christlich» geoutet? Oder ist es im Sinne einer Leitkultur zu verstehen, dass, wer dazugehören will, Pfingsten zu feiern hat? Jedenfalls empfinde ich die Wortwahl gelinde gesagt unsensibel und ignorant gegenüber einer grossen Zahl Menschen mit anderer oder keiner Religionszugehörigkeit.
Man hätte Pfingsten auch als Anlass nehmen können, aufzuzeigen, dass es in den drei abrahamischen Religionen Sendungsereignisse gibt, die gefeiert werden. Die Herabsendung der Tora an Shavuot, die Aussendung des Heiligen Geistes an Pfingsten und die Herabsendung der Qur’ān in der Laylat al-Qadr am Ende des Ramadans. Der arabische Name für Pfingsten lautet übrigens ʿĪd al-ʿanṣara, was wiederum auch der Name fürs jüdische Wochenfest ist. Ein anderer arabischer Begriff für Pfingsten lautet ʿĪd al- ẖamsīn, «Fest des 50.», was pentēkostē/Pentecôte, abgeleitet von der griechischen Zahl fünfzig, entspricht.
Leserbrief
Es ist mir klar, dass die Wortwahl heute wohl in jedem Bereich des Zusammenlebens entscheidend geworden ist. Allerdings frage ich mich, woher die Heftigkeit der Reaktion von Frau Hafner auf das Wort «wir» kommt. Einen Redaktor deswegen als ignorant und unsensibel zu bezeichnen, scheint mir doch ziemlich radikal. Darf eine Redaktion heute kein Basiswissen zum Christentum vermitteln? Meine Meinung ist, ja, sie darf, und ja, ein Redaktor oder eine Redaktorin darf sich als Christ bzw. als Christin outen, in einem Land, das von der christlichen Kultur geprägt ist. Ich finde es schade, dass gerade mal ein Viertel des Artikels zum interreligiösen Dialog und Verständnis beiträgt, und drei Viertel des Platzes eine Infragestellung der heutigen Medien zum Thema Pfingsten einnimmt. Meiner Meinung nach eine verpasste Chance, im forum den interreligiösen Dialog zu fördern.
Erwin Peter, Wallisellen