Zwischen Krimi und Meditation

Reportage

Zwischen Krimi und Meditation

Alte Gemälde restaurieren ist Geduldsarbeit und knifflige Spurensuche. Die Restauratorin der Bilder aus dem Churer Bischofsschloss ist davon so fasziniert, dass sie manchmal den Schlaf vergisst.

«Ciao ragazzi», ruft Giulia Presti den Mitarbeitern zwischen den grossen Baumaschinen zu. In der Halle befindet sich der Pausenraum, den sich die lebhafte Tessinerin mit den Maschinenmechanikern teilt. Die selbständige Gemälde-Restauratorin geniesst als Unterbrechung ihrer einsamen Arbeit den Schwatz mit ihnen. Dann führt sie durchs Treppenhaus und kahle Betongänge. Niemand würde hier ein Atelier vermuten, in dem Bilder aus dem Churer Bischofssitz restauriert werden. Spezielle Lampen stehen in der Ecke, Bücher, Farben und Chemikalien im Regal. Auf dem grossen Tisch in der Mitte des Raumes liegt ein Bild, das eine Muttergottes vor viel blauem Himmel darstellt. «Es stammt aus dem Zweiten Barock, also dem 19. Jahrhundert», erklärt Giulia Presti. Hinten an der Wand angelehnt steht ein dunkles Gemälde, ein barockes Altarblatt, das den Heiligen Johannes Nepomuk zeigt. Es dürfte etwa um 1700 entstanden sein.

Mit destilliertem Wasser reinigt die Gemälde-Restauratorin Giulia Presti als Erstes die Oberfläche des Bildes von Staub und Schmutzpartikeln. (Foto: Christoph Wider)

Chemisches Fachwissen notwendig

Die Restauratorin nimmt ein Stäbchen und umhüllt es vorne mit Watte. Dann taucht sie es in destilliertes Wasser und reinigt damit sorgfältig, mit ganz kleinen Drehbewegungen, den blauen Himmel, der dadurch deutlich heller wird. Die Watte allerdings ist sofort schwarz. «So kann ich Partikel und Staub auf der Oberfläche reinigen. Ich muss aber aufpassen, dass ich nicht aus Versehen Farbe abtrage, denn sie steht manchmal ein wenig auf ...», kommentiert sie.  In einer anderen Ecke des Bildes ist das Blau nicht mehr glänzend, sondern matt. Hier hat Giulia Presti bereits probeweise mit einer Mischung von Lösemitteln den Firnis, die Schutzschicht auf der Maloberfläche, gelöst und abgenommen. «Weil dieser stark oxidiert und vergilbt, muss man ihn unbedingt entfernen, um das Bild wieder lesen zu können», erklärt sie. Um der darunterliegenden Malschicht keinen Schaden zuzufügen, wird die Lösungsmittel-Mischung als Gel verarbeitet. «Damit bleibt die chemische Reaktion auf der Oberfläche, also dem Firnis, und schädigt die Pigmente der Malschicht nicht.» Um zu kontrollieren, ob sie tatsächlich nur den Firnis oder auch die Malschicht abgetragen hat, beleuchtet sie die bearbeitete Stelle mit ihrer UV-Lampe. «Wenn es gelb fluoresziert, ist es gut. Wenn ich die Malschicht erwischt habe, bleibt es unter dem UV-Licht dunkel.» Und dann folgt eine physikalisch-chemikalische Erklärung für diesen Vorgang. Zu kompliziert, um sie wiederzugeben ... Jedenfalls: Sie dokumentiert detailliert, mit welchem Material sie was bearbeitet, so dass ihre Eingriffe in späteren Zeiten nachvollziehbar sind und wenn nötig rückgängig gemacht werden können.


Ganz nahe am Bild

Restaurieren habe etwas Meditatives, erklärt die Restauratorin. «Ich bin ganz nah am Bild, sehe den Pinselduktus des Malers, kann beurteilen, wie er gearbeitet hat, und bewundere den Detailreichtum und das Talent des Künstlers!» Sie vergesse öfters am Abend, ins Bett zu gehen, so fasziniert sei sie von ihrer Arbeit. Dann aber gibt es auch die Momente, in denen sie glaubt, sie werde nie fertig. Oder sie stösst auf ein Problem, das sie nicht lösen kann. «Dann gibt es viele Bücher mit Hintergrundwissen», sagt sie und zeigt auf das gefüllte Regal. «Oder ich telefoniere Professor Jacopo Gilardi, der mich ausgebildet hat. Er ist eine Koryphäe und unterstützt mich sehr.» Wenn sie gar nicht zum Ziel komme, sei manchmal die Lösung «einfach raus gehen, spazieren, Sport machen». Am nächsten Tag gehe ihr dann plötzlich ein Licht auf. «Man darf sich nicht stressen lassen», resümiert sie. Was in der einen Ecke des Bildes funktioniere, gehe an einem anderen Ort nicht. Restaurieren sei oft wie ein Krimi, bei dem man recherchieren, tüfteln, ausprobieren und viel nachdenken muss: Welche Malschicht ist wohl mit welchem Material aufgetragen worden? Wie reagiert die jeweilige Schicht auf das Lösungsmittel, und welche Mischung muss das Lösungsmittel haben, damit es funktioniert? «Ich komme je länger je mehr weg von den schädlichen Lösungsmitteln, die ich nur mit Maske und einem Luftabsaugegerät benutzen kann, hin zu ökologischem Material. Auch in unserer Branche bewegen wir uns zügig in Richtung eines umweltfreundlichen Verhaltens», sagt Giulia Presti.

Die unprofessionellen Kleber über Leinwandrisse werden abgenommen. Anschliessend wird der Riss neu verklebt, genäht oder mit einem speziellen Stoff verstärkt. (Foto: Christoph Wider)

Nun wendet sie sich dem Gemälde des Heiligen Johannes Nepomuk zu. Es hing früher in der Kathedrale beim Herz-Jesu-Altar. Heute gehört es zu jenen Gemälden und Kulturgütern, die keinen festen Platz haben. Um sie öffentlich zugänglich zu halten, ist vom Churer Domschatzmuseum und der Kathedralstiftung aktuell ein Schaudepot errichtet worden, wo die Bilder und Objekte bei Führungen gezeigt werden können. Dadurch hat Giulia Presti nun nebst der Muttergottes vor dem blauen Himmel auch den Heiligen Johannes Nepomuk zur Restaurierung erhalten.

«Die Arbeit am Nepomuk-Bild wird spannend werden», sagt sie voraus. «Das Gemälde lag ungeschützt in einem Estrich.» So muss sie zuerst die Leinwand von hinten reinigen, um Staub und Schimmel zu beseitigen. «Dann festige ich von der Rückseite her die Malschicht, damit sie vorne nicht mehr absteht. Anschliessend wird das Bild gereinigt, der Firnis abgenommen, Risse in der Leinwand geschlossen und gekittet und zuletzt farbig retuschiert.» Ausserdem muss Giulia Presti die Leinwand aus dem bestehenden Keilrahmen lösen, die Ränder flicken und dann das Bild wieder auf einen neuen Keilrahmen aufziehen. «Handwerksarbeit eben», sagt sie. Was die Restauratorin aber noch nie erlebt hat: Im Estrich, wo die Bilder lagerten, flogen auch Vögel herum. Sie zeigt, wo Vogelkot die Bilder mit seiner Säure verunstaltet hat. Mit einem Augenzwinkern und durchaus freudiger Erwartung auf diese Herausforderung meint sie: «Wie Vogelkot von einem Bild abzulösen ist, wird eine eigene krimiähnliche Ermittlung brauchen.»

Text: Beatrix Ledergerber