Die ganze Familie hatte sich damals versammelt, um Abschied zu nehmen und einen Moment innezuhalten. Für mich als Kind war gewiss: Mein Büsi ist jetzt im Himmel bei Gott.
Als Kind hatte ich es ganz intuitiv erfasst: Bei der Vorstellung, dass Menschen nach dem Tod in den Himmel kommen, geht es nicht darum, dass es Menschen sind, die in den Himmel kommen, sondern Geliebte. Der Glaube an den Himmel beruht auf der Hoffnung, dass jene, die ich liebe, mir nicht ein für alle Mal entrissen werden. Die Liebe kann nicht anders, als angesichts des Todes zu protestieren, weil sie will, dass die oder der Geliebte (auf)lebt. Und zwar nicht nur in der Erinnerung oder in meinem Herzen, sondern wirklich und wahrhaftig. Daher ist die Frage nach dem Himmel letztlich eine Beziehungsfrage – und nicht etwa eine Ortsfrage.
Nun stellt sich die menschliche Liebe aber als begrenzt und äusserst selektiv heraus. Das zeigt sich in den sehr unterschiedlichen Beziehungen von Menschen zueinander und eben auch in der Beziehung zwischen Mensch und Tier. Diese könnte heutzutage kaum von grösseren Gegensätzen gezeichnet sein. Während manche Tiere zu Familienmitgliedern gemacht, verwöhnt und letztlich würdevoll zu Grabe getragen werden, werden andere Tiere massenhaft gezüchtet und geschlachtet oder maschinell vernichtet. Über 83 Millionen «Nutztiere» wurden letztes Jahr allein in der Schweiz geschlachtet. Wer käme hier auf die Idee, zu fragen, ob das einhundertneunzigtausendste geschlachtete Kälblein auch in den Himmel kommt?
Die christliche Tradition muss dazu stehen: Sie war und ist zum Teil eine Komplizin, wenn es darum geht, in Mitgeschöpfen Ressourcen zu sehen, die uns zur Verfügung stehen. Andere, kritische Stimmen wie jene von Franz von Assisi, Nikolaus von Kues, von Albert Schweitzer und vielen anderen verklangen ohne Breitenwirkung.
Es waren unter anderem Impulse aus zuweilen religionskritischen Ecken der modernen Biologie, die dem Christentum den Anstoss lieferten, sich auf das zurückzubesinnen, was ihm eigentlich zutiefst eingeschrieben ist: sich der engen Verbundenheit des Menschen mit seiner Mitwelt bewusst zu werden und dass der Mensch nur wahrhaft zum Menschen wird, wo er im Gesamt der Schöpfung Verantwortung übernimmt. Mit den Worten Schweitzers: «Die Tiere sind unsere Brüder, die grossen wie die kleinen. Erst in dieser Erkenntnis gelangen wir zum wahren Menschentum.»
Ich finde es immer noch sehr an-gemessen, dass wir damals unser Büsi würdevoll begraben haben. Wenn solche Handlungen keine heuchlerischen Vertröstungen sein sollen, sondern aufrichtiger Ausdruck einer echten Hoffnung, dann tritt uns darin aber auch ein Anspruch entgegen. An uns Menschen und unsere Beziehung zur Mitwelt insgesamt.