Welche Sprache spricht Gott?

Eine gute Frage

Welche Sprache spricht Gott?

Im Mittelalter suchten Gelehrte die Sprache des Ursprungs - jene, durch die Gott die Welt erschaffen hat.

Diesen Sommer reiste ich mit dem Wohnwagen nach Andalusien und zurück. Mit dabei: Ein historischer Roman der Autorin Katharina Kramer, den mir eine Nachbarin weitergereicht hatte. Das Thema könnte mich interessieren, meinte sie. Das Buch packte mich tatsächlich. Es entführte mich ins 16. Jahrhundert, zufälligerweise an mehrere Orte, die ich gerade am Bereisen war. Historische Persönlichkeiten wie der englische Hofastronom John Dee und der italienische Universalgelehrte Giordano Bruno kreuzen die Wege der Hauptfiguren. Und ja, da war ein Thema, das einen grossen Spannungsbogen schuf: Schafft es der ausserordentlich sprachbegabte Jacob Greve, die Sprache des Ursprungs zu finden?

Die Sprache des Ursprungs? Der Roman spielt nicht nur in der Zeit der grossen Religionskriege. Er lässt auch eine Epoche lebendig werden, in der es noch Universalwissen und Gelehrte gab, die kritisches Denken weiterentwickelten, jedoch zugleich der Alchemie zugewandt waren. Noch hielt man es zum Beispiel für möglich, das Rezept zu finden, um Gold herzustellen. Die Idee, dass es eine Sprache des Ursprungs gibt, hat einen biblischen Bezug. Gemäss der ersten Schöpfungserzählung in Genesis 1 erschafft Gott die Welt wie durch Sprachzauber. «Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.» Und so weiter. Der Traum war also, diese Sprache Gottes zu entdecken, um sodann wie Gott durch Worte alles erschaffen zu können, was man möchte.

Heute wirkt dieser Traum naiv. Und natürlich gelingt es dem jungen Sprachgelehrten im Roman nicht, diese Sprache, der er so gerne auf die Spur gekommen wäre, zu finden. Aber die Suche nach der Sprache und das Scheitern am Projekt haben etwas mit ihm gemacht: Er begreift, dass es in der Natur jeder Sprache liegt, Dinge zu bewirken. Mit Sprache kann man Befehle erteilen, Menschen verletzen und im schlimmsten Fall zum Tod verurteilen. Sprache kann jedoch auch Zuversicht verbreiten, humorvolle Äusserungen können aus misslichen Situationen heraushelfen, gutes Erzählen kann unterhalten und Freude bereiten. Mit dieser Einsicht kann sich Jacob am Ende umso eifriger wieder seiner eigentlichen Leidenschaft widmen, nämlich zu untersuchen, wie einzelne Sprachen unterschiedlich funktionieren.

Die Pointe der ersten Schöpfungserzählung besteht nicht darin, das Mysterium einer Gottessprache zu postulieren. Die Erzählung ist ein poetischer Lobgesang auf einen Gott, dem man sogar die Grösse zuschreibt, die Lebensräume für alle irdischen Wesen allein per Wort aus Chaos erschaffen zu haben. Gott sprachlich nachzueifern, hiesse dann nicht, Machtphantasien nachzujagen. Es hiesse, Sprache – wann immer möglich – lebensförderlich zu benutzen.

Text: Veronika Bachmann, Bibelwissenschaftlerin und Leiterin Fachbereich Theologie und Religion an der Paulus Akademie