Das hatte ihn offenbar skeptisch gemacht: Meine Freude an der Bibel muss auf ihn «unkatholisch» gewirkt haben. Ein andermal sass ich beim Essen mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Freikirchen. Wiederum wurde mein Glaube kritisch beäugt. Der Grund diesmal: Ich war als Kind getauft worden und konnte kein einmaliges Bekehrungserlebnis erzählen, durch das ich als Erwachsener zum Glauben gefunden hätte.
Wenn ich an solche und ähnliche Gespräche denke, muss ich schmunzeln: Offensichtlich kann ich es mit meinem Christsein nicht allen recht machen! Natürlich nicht. Jedes meiner Glaubensgeschwister hat ein anderes Bild davon, was einen «wahren» Christen und eine «wahre» Christin ausmacht. Jede Tradition begründet anders, warum sie den Glauben so und nicht anders versteht und weitergibt. Diese Unterschiede empfinde ich insgesamt als Reichtum. Und so lasse ich mir jeweils gerne erzählen, woran mein Gegenüber sein oder ihr eigenes Christsein festmacht.
Für viele ist die Taufe als Kind grundlegend für ihr Christsein. Sie haben es positiv erlebt, wie sie in ihren Glauben «hineinwachsen» durften. Andere betonen die Wichtigkeit eines prägenden Augenblicks in ihrem Leben, in dem sie ganz tief erfahren haben, wie Gott sie annimmt und erfüllt. Die Erinnerung an diese Erfahrung gibt ihnen Halt und Gewissheit. Für andere wiederum sind es die Taten, die zählen. Wie jemand sein Leben führt und wofür jemand sich einsetzt, das mache wahrhaftiges Christsein aus. Viele erwähnen die Wichtigkeit des regelmässigen Gebets, um ihre Gottesbeziehung zu pflegen. Manche tun dies auch, indem sie regelmässig die Bibel zu sich sprechen lassen.
Für mich gehören alle diese Aspekte zum Christsein dazu. Gewisse davon sind heute für meinen eigenen Glauben tragend. Andere waren es einmal und stehen heute eher im Hintergrund. Glaube, wenn er lebendig ist, bleibt eben in Bewegung. Wenn mir meine Gesprächspartner davon erzählen, wo ihr Glaube besonders lebendig ist, dann lasse ich mich gerne davon inspirieren, bevor ich es mir allzu bequem mache in meinen gewohnten Bahnen.
Mulmig wird mir bei solchen Gesprächen dann, wenn gewisse Aspekte verabsolutiert werden. Wenn Kriterien konstruiert werden, mit denen sich eine christliche Gemeinschaft über andere erheben will. Nein, danke! Geschichte und Gegenwart kennen genug blutige Beispiele dafür, wie «wahre» Christen gegen «falsche» mit Gewalt vorgehen. Gott sei Dank erlebe ich, dass die meisten meiner Gespräche von Freude, Interesse und einer wohltuenden Prise Humor getragen sind.
Übrigens: Auch die damalige Runde von freikirchlichen Kolleginnen und Kollegen kam letztlich zum Schluss, dass ich definitiv Katholik sei, aber immerhin ein «gläubiger Katholik». Da bin ich ja beruhigt.