Die Frau, die nicht aufgibt

Interview

Die Frau, die nicht aufgibt

Bereits zum zweiten Mal nimmt Helena Jeppesen-Spuhler an einer Bischofs­synode teil. Ein Gespräch über Streitkultur, Solidarität und die Ehrfurcht vor dem Papst.

Sie nehmen zum zweiten Mal an einer Synode in Rom teil. Sind Sie unter Druck?

In der Schweiz begegnet man dem Synodalen Prozess mit starker Zurückhaltung oder gar Resignation. Zu oft wurde schon debattiert, ohne dass sich wirklich etwas verändert hat. Deshalb stehen wir als Delegation im Oktober unter Druck. Es müssen endlich Resultate kommen.

Und ganz persönlich?

Ja, auch da spüre ich einen enormen Druck. Ich fühle mich verpflichtet, die Anliegen und Empfehlungen aus den europäischen Ländern und mit ihnen auch jene aus der Schweiz einzubringen. Ganz besonders die Anliegen der Frauen und der Laien. Ich bin deshalb enorm gefordert. Es sind viele, sehr viele Stunden, die ich dafür hergebe. Alle in meiner Freizeit.

Woher kommt der Widerstand konservativer Kreise gegen den Synodalen Prozess, den ja immerhin der Papst selbst angestossen hat?

Unter den Konservativen gibt es ein Narrativ, das gezielt verbreitet wird: Mit dem Synodalen Prozess werde einfach der Synodale Weg aus Deutschland für die Weltkirche kopiert. Konservative Vertreter sehen bei den Themen Gleichberechtigung und Homosexualität sehr schnell rot. Die Fronten sind verhärtet. Da braucht es enorm viel Austausch und ein Gespür für persönliche Begegnung.

Die Diskussions- und Streitkultur ist in der katholischen Kirche nur schwach ausgebildet. Hat sich da in den zwei Jahren, in denen Sie sich im Synodalen Prozess engagieren, etwas verändert?

Ich finde schon. An vielen Orten ist Vertrauen gewachsen. Und damit kann auch besser gestritten werden. Es gibt beispielsweise Synodale, die auf mich zukommen und mit mir über Gleichberechtigung sprechen wollen. Das Hauptproblem in der katholischen Kirche bleibt jedoch, dass zu viele Fragen nur unter Klerikern besprochen und entschieden werden. Deshalb sitzen Bischöfe dann in einer Arbeitsgruppe, ohne die Rolle der Frauen überhaupt anzusprechen. Das müssen dann wir Frauen tun, weil sie selbst nicht auf die Idee kommen.

Gilt das auch für die Schweizer Bischöfe?

Felix Gmür ist als Delegierter der Schweizer Bischöfe ist in dieser Hinsicht eine löbliche Ausnahme. Auch Erzbischof Ladislav Nemeth aus Belgrad und Bischof Franz-Josef Overbeck aus Deutschland. Aber die allermeisten Bischöfe zögern immer noch, die brisanten Themen auf den Tisch zu bringen.

Wo können Sie Bewegung in die Synode bringen?

Wir müssen vor allem jene Bischöfe erreichen, die sich im Mittelfeld bewegen. Da spüre ich eine Bereitschaft zur Veränderung. Aber es braucht auch hier viel Zeit und Geduld.

Glauben Sie daran, dass die Synode nachhaltig wirken wird?

Es wird entscheidend sein, dass wir den Schlussbericht nochmals diskutieren können. Dass der Schlussbericht nicht – wie bislang üblich – von einer intransparenten Redaktion geschrieben wird. Das gehört ja gerade zur Synodalität, dass am Ende nicht doch wieder der Papst allein entscheidet. Da muss sich etwas ändern.

Papst Franziskus sendet jedoch widersprüchliche Signale, wenn er sich beispielsweise kategorisch gegen das Diakonat der Frau ausspricht, noch bevor die Synode dazu beraten kann.

Ja, das finde ich auch sehr schwierig. Einerseits ermutigt er uns, neue Formen und Prozesse zu denken. Andererseits bleibt er aber selbst immer wieder hinter seinen eigenen Forderungen zurück.

Woran liegt das?

Ich kann nur vermuten, dass er vom System im Vatikan stark abgeschirmt und nicht zu mutigen Entscheidungen herausgefordert wird. Da gibt es immer noch kaum kollegiale Beratung. Es sind dann einzelne Berater, die dem Papst einflüstern, was möglich ist und was die Einheit der Kirche gefährdet. Auf dieser Grundlage entscheidet dann der Papst, was zu tun ist. Da wird er auch nicht herausgefordert. Das ist bei uns in der Schweiz anders. Wir gehen direkt auf Bischöfe zu und fordern auch Dinge ein.

Schüchtert Sie der Papst ein?

Nein. Ich brauchte zwar etwas Zeit, um mich zurechtzufinden. Wie läuft das im Vatikan? Welche Kräfte herrschen hier? Wie verhalten sich die Menschen dem Papst gegenüber? Aber ich bleibe eine demokratische Schweizerin und habe keine Angst, mich auch so zu verhalten. Ich habe nie in diesem klerikalen System gelebt. Ich habe deshalb keine Mühe, meine Überzeugung offen vorzutragen. Wir können den Papst allerdings nur mit Allianzen erreichen. Wenn sich beispielsweise die 54 Frauen zusammentun, die an der Synode teilnehmen, dann können weder Papst noch Bischöfe sie überhören.

Wie allianzfähig sind Bischöfe?

Die Bischöfe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz müssten viel geeinter auftreten. Ich sehe beispielsweise nicht, wo sich die Schweizer Bischöfe mit den deutschen Bischöfen effektiv solidarisieren oder vernetzen. Das schwächt ihren Einfluss erheblich.

Und wie steht es mit der Solidarität unter den 54 Frauen, die an der Synode teilnehmen?

Viel besser, auch wenn wir Frauen ebenfalls von ganz unterschiedlichen Orten und mit ganz unterschiedlichen Positionen aufeinandertreffen. Trotzdem herrscht unter uns echte Solidarität.

Wie zeigt sich diese?

Wir haben sofort miteinander geredet, haben uns vernetzt und haben Kontakt gehalten. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass viele von uns in ihren Ländern den Synodalen Prozess praktisch allein organisieren müssen, weil sich die Bischöfe nicht wirklich dafür interessieren. Deshalb unterstützen wir uns gegenseitig. Aus dieser Erfahrung stellt sich eine meiner grossen Fragen zur Nachhaltigkeit: Was geschieht, wenn die Frauen nach der Synode im Oktober wieder aus dem Prozess raus sind und die Bischöfe wie üblich übernehmen?

Stellt sich diese Frage auch in der Schweiz?

Dazu nur so viel: Ich habe es mir nach der Synode im letzten Jahr richtiggehend erstreiten müssen, dass ich in der Bischofskonferenz berichten durfte. Sie dachten dort, es reicht doch, wenn Felix Gmür ein wenig berichte. Und in diesem Jahr ist es wieder das Gleiche. Es gibt leider immer noch Bischöfe – die Bischöfe der Deutschschweiz allerdings ausgenommen –, die es völlig unnötig finden, dass ich als Synodenmitglied in der Bischofskonferenz berichte.

Auf welche Themen werden Sie sich während der Synode fokussieren?

Auf die Partizipation auf Leitungsebene und auf die Kompetenzen der Ortskirche. Nur wenn die Ortskirche mehr Kompetenz erhält, können wir die Kirche auch umbauen. Dafür bleibt nicht mehr viel Zeit, davon bin ich überzeugt. Und selbstverständlich werde ich mich auch für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung einsetzen.

In Prozentzahlen: Wie gross ist die Bereitschaft der Synodalen zu Reformen?

Mein Eindruck ist: Es sind über 50%. Allerdings haben wir immer noch das Problem, dass die delegierten Bischöfe nicht immer auch die Präsidenten ihrer jeweiligen Bischofskonferenz sind. Das ist für die nachhaltige Wirkung der Synode natürlich eine Gefahr. Und das wird so bleiben, solange der Papst das Kirchenrecht nicht ändert und partizipative und demokratische Strukturen in der Kirche verankert.

Was bereitet Ihnen Sorgen?

Vor allem die Kommission 5, in der auch die Partizipation der Frauen behandelt wird. Da wissen wir bislang nicht einmal, wer in dieser Kommission Einsitz hat. Völlig intransparent und deshalb beunruhigend.

Wie stark ist Ihr Geduldsfaden noch?

Ziemlich stark, weil ich aus der Menschenrechtsarbeit komme. Ich setze mich beispielsweise seit Jahren für Klimagerechtigkeit ein, auch wenn es manchmal aussichtslos scheint. Ich habe einen langen Atem und bin mir gewohnt, partout nicht aufzugeben.

Text: Thomas Binotto