Eine Kirche ist kein Museum. Die Gottesbilder, die in Kirchenräumen sind – oder bewusst nicht sind – machen etwas mit den Gläubigen, die dort feiern und beten, mit den Kindern, die dort Glauben lernen. Die Kirche Herz Jesu in Zürich Wiedikon ist frisch renoviert. Renoviert wurde auch das Gottesbild in der Apsis, das Gott gross als alten, weissen Mann mit weissem Bart darstellt, und mit recht strengem Blick. Ebenfalls frisch renoviert ist die Kirche Sankt Felix und Regula in Thalwil. Dort hat man Gegenstände hinausgeräumt und Bilder übertüncht.
Ich besuche die beiden Kirchen mit Menschen, die sich in diesen Kirchenräumen auskennen und sie gestalten, auch über die Renovation hinaus: Ronny Jenny aus Herz Jesu, Felix Zgraggen aus Sankt Felix und Regula und Anna Barbara Müller aus dem Domschatzmuseum Chur. Ein persönliches Gespräch zu viert über Gottesbilder: Was wir sehen und empfinden, was wir brauchen und was uns fehlt.
Gottesbild in Herz Jesu in Zürich-Wiedikon: Macht es nun Angst oder bietet es Geborgenheit an?
Wir stehen vor der Apsis in Herz Jesu. Erster Eindruck: «Ich sehe etwas, das stark auf mich zukommt», sagt Anna Barbara. «Ich fühle mich fast eingehüllt, umfangen von etwas.» «Nicht überfallen?», fragt Ronny zurück. «Nein. Ich habe es nicht werten wollen.» Der Gnadenstuhl – so heisst diese Art der Darstellung Gottes – sei ja «in dem Raum und für den Raum» geschaffen worden, mit einer Aussage. Nur mit welcher? «Da mag die Welt im Chaos sein, es gibt einen Ort, von dem her ich mich wieder aufrichten lassen kann, von dem aus mir Ordnung geschenkt wird», assoziiert Felix. «Ich hätte es eigentlich am liebsten übermalt, wenn ich ehrlich bin», sagt Ronny. Er hält das Bild nun seit fast 70 Jahren aus, wie er selbst es formuliert: Bereits seine Eltern haben hier geheiratet, er ist hier getauft, seine ersten Lebensjahre zur Sonntagsmesse und nun als Seelsorger hier, seit bald 20 Jahren. Unlängst erst habe ein Bub in der Kirche auf den alten Mann da oben gezeigt und gesagt: «Böser Mann.» Ronny kennt auch Erwachsene, die sagen: «Hör zu, ich kann hier nicht in den Gottesdienst kommen, das Bild macht mich fertig, ich habe Angst.» Ronny: «Dann stimmt etwas mit dem Bild nicht.»
Doch das Bild ist hier, frisch renoviert. Warum habt ihr es nicht übermalt, frage ich. «Denkmalschutz», antwortet Ronny und Anna Barbara sagt: «Es ist ein Kunstwerk in sich – man muss entweder das Ganze wegnehmen oder das Ganze erhalten.» Die Alternative wäre eine «leere Apsis» gewesen. Den Architektinnen sei es im Gegenteil ein Anliegen gewesen, «die ursprüngliche Intention der Kirche» wieder aufzunehmen, das Bestehende zu bewahren und neue Akzente zu setzen. Durch Farben: «fröhlicher, stärker, lichtvoller». Waren die starken Farben ursprünglich auf die Apsis beschränkt, gehen sie nun in den Kirchenraum über: das satte Blau des Himmels wird an der dunkelblauen Holzdecke weitergeführt, das erdige Terrakotta an sämtlichen Wänden. Ronny sieht darin «eine einladende Dynamik». «Ich habe das Bild lange statisch wahrgenommen, jetzt sehe ich es fliessend, dynamisch, einladend. Gott umarmt mich, die ganze Apsis bekommt etwas Umarmendes.»
Stimmt mit dem Bild also doch alles? «Ich habe mich mit dem Bild auseinandersetzen müssen, ohne dass ich etwas daran verändere», resümiert Ronny. Felix meint: «Einfach wegtun – dann hast du viel weniger. Ich glaube, das Bild ist für die allermeisten ein Gewinn. Auch wenn das Bild natürlich lügt.» Gott ist nicht so: weder ein Mann, noch mit weisser Hautfarbe oder bösem Blick, alt ist er auch nicht.
Sich von Gott kein konkretes Bildnis zu machen, ist nicht umsonst ein zentrales Gebot der Bibel. Und dann ist da das menschliche Bedürfnis, Bilder zu haben. «Jesus redet mit Gott wie mit einem Vater – und erschafft damit ein Bild», findet Ronny. Für ihn sind Worte gleich stark und ebenso prägend wie bildhafte Darstellungen. Worte wie Bilder seien «nie fertig». Und so ist auch der Kirchenraum noch nicht fertig. Licht soll bewusst zum Einsatz kommen. Dadurch soll das Vaterbild zukünftig eher in den Hintergrund treten und das Bild des Sohnes am Kreuz hervortreten. «Aber wir müssen ehrlich sein», sagt Ronny, «die Leute haben mit dem Bild von Jesus, mit dem Gekreuzigten ebenso Mühe.»
Auch im Raumkonzept von St. Felix und Regula in Thalwil zeigt sich ein Gottesbild.
Wir betreten die Kirche in Thalwil. Ein «Kulturwechsel, weil es so wenig ist», zunächst «etwas kühl und reduziert», aber auch «ikonisch, transparent», wie Ronny formuliert. Was auffallend ist: Hier, wo nur vereinzelt bildhafte Darstellungen von Gott sind, beginnen wir intuitiv nach Orten und Gegenständen zu suchen, die doch wiederum für das Göttliche stehen. Vielleicht auch, weil wir gerade aus einer Kirche kommen, in der Bilder und Farben dominant sind?
Anna Barbara ist Teil der Pfarrei Felix und Regula und kommt öfters in diese Kirche: «Ich sehe hier für mich den Himmel. Ich möchte in einer Kirche nach vorne sehen, das Offene, das dann mit dem Blau im Himmel endet – das ist für mich wunderschön.» Die Apsis ist in einem zarten Hellblau gehalten, das Ronny «taubenblau» sieht. Das Blau läuft nach unten hin fein aus und geht in ein stilles Weiss über. «Magic», findet Felix. «In der Farbgebung ist uns ein Neuwurf gelungen.» Während die Apsis freigeräumt wurde und die dortige Orgel – nach intensiven Diskussionen – ein neues Zuhause gefunden hat, hat man in dieser Kirche noch zu einer anderen Methode gegriffen, um Raum zu schaffen: Bilder wurden übertüncht. Das allerdings bereits in den 1980er-Jahren, als man Darstellungen im vaterländischen Stil nicht mehr sehen wollte, zu denen auch ein Bild der Dreifaltigkeit mit Gott Vater als altem Mann zählte. Damals hängte man dann Teppiche vor die Übermalung, um etwas Zeitgemässes zu sehen. Jetzt sind auch die Teppiche weg. Der heilige Felix und die heilige Regula finden sich stattdessen als Figuren an diesen Stellen – Figuren, die auf uns alle vor allem «abstrakt» wirken. Darunter schimmern jetzt die alten vaterländischen Bilder durch, mit weis-ser Leimfarbe durchscheinend übermalt. «Die Mauern dieser Kirche haben eine Geschichte, und das soll sichtbar werden», sagt Felix. Und der Denkmalschutz? «Es ist alles reversibel», erklärt Anna Barbara, «und was man wieder wegnehmen kann, das darf man anbringen.»
Wieder wegnehmen liessen sich auch die Lamellen an sämtlichen Fenstern, die das Licht nicht nur dämpfen: «Du brauchst keine Statuen und keine Bilder, du musst einfach warten, bis die Sonne kommt. Wenn dann jemand hier steht, in diesem Licht, wird der Mensch zur Statue», erzählt Felix. Wir bemerken etwas: Könnte es sein, dass Menschen, du und ich, in dieser Kirche mehr Raum bekommen – gerade auch darin, dass wir alle ja Ebenbilder Gottes sind und als solche wirken? Felix dazu: «Auf jeden Fall lädt der Freiraum zum Nutzen ein. Wir haben plötzlich sehr viele Möglichkeiten entdeckt, dadurch dass nicht alles schon voll ist fürs Auge.» Felix und Anna Barbara schildern, wie am Altar nun von beiden Seiten her zelebriert wird, wie Mitfeiernde auch eingeladen sind, im Chorraum zu sitzen und im Altarraum zu feiern, wie die Stufen zum Altar jetzt als Begegnungsraum genutzt werden. «Der ganze Raum ist ein Ort der Begegnung geworden von oben und unten, von links und rechts. Das hat mit dem Gottesbild nicht so viel zu tun … vielleicht aber doch?», überlegt Felix.
Ein grosses Gottesbild gibt es allerdings auch hier: Christus am Kreuz hängt über dem Altar. Zunächst habe es in der Gemeinde Bedenken gegeben: Immer einen Leidenden anschauen? Dann kam die Idee, den Jesus-Corpus weiss zu übertünchen – mit Farbe, die sich wieder entfernen lässt, versteht sich. Und das sorgfältige Austarieren, auf welcher Höhe das grosse Holz hängen sollte. Felix schaut dem erhöhten Christus ins Gesicht: «Erhaben … erlöst … barmherzig auch …».