Ordnungsf(h)immel

Narrenschiff

Ordnungsf(h)immel

Ich habe eine Obsession für rechte Winkel und Parallelachsen, für die Senkrechte und die Waagrechte, für durchdachte Abstände.

Deshalb bin ich ein notorischer Zurechtrücker und Neuordner. Es ist mir schier unmöglich einen Stapel Briefe schwungvoll auf den Tisch zu werfen, ohne ihn danach sauber zu stapeln und nach der Tischkante auszurichten.

«Du ziehst eine Spur der Ordnung hinter dir her» sagt meine Partnerin dazu. Wobei das nur die halbe Wahrheit ist. Am liebsten würde ich auch eine Spur der Ordnung vor mir herschieben. Deshalb ziehen mich Papeterien und Baumärkte magisch an. So wie andere alte weisse Männer Krawatten sammeln, so sammle ich Ordnungssysteme.

Meine Favoriten fürs ordentliche Leben: Fest haftende, aber rückstandslos ablösbare Powerstrips. Klettbänder, die jeden Kabelsalat bändigen. Frischhaltedosen und -beutel mit Vakuumpumpe. Meine aktuell grosse Liebe: Ein Rucksack mit so vielen Raffinessen, dass er ein 20minütiges Erklärvideo braucht.

Wer in der Charakterisierung «Du ziehst eine Spur der Ordnung hinter dir her» auch eine Spur Amüsement hört, liegt völlig richtig. Meine Partnerin sieht das alles nicht so eng wie ich. Und sie macht mich damit glücklich. Dank ihr entdecke ich im fortgeschrittenen Alter doch noch den wilden Mann in mir.

Erst vorgestern habe ich mich hemmungslos einer herrlichen Sauerei hingegeben. Meine Gäste hatten mir grade die Hilfe beim Aufräumen der angerichteten Küchenschlacht angeboten. Ich aber schlug sie mit Grandezza und Tiefsinn aus: «Lasst nur. Hab ja eine Abwaschmaschine. Ich mach das gern. So zur besinnlichen Nachbereitung.»

Kaum war die Haustüre hinter meinen Freunden ins Schloss gefallen, legte ich los … und tat gar nichts. In meiner Küche versifften an drei verschiedenen Orten gebrauchte Backbleche, leere Bierdosen lagen mit Zufallsgenerator verstreut herum, das Geschirr stapelte sich alles andere als artgerecht. Und immer wieder locker hingetupft etwas Grünabfall. Ich warf einen letzten liebevollen Blick zurück auf dieses Chaos und legte mich sauwohl ins ungemachte Bett.

Unterschiedliche Ordnungsphilosophien sorgen in allen Beziehung für Spannungsmomente. Selbst die Frage, ob der Taschentuchspender auf dem Spülkasten rechts- oder linksbündig stehen sein soll, kann zu Ausschlägen auf der Richterskala führen.

Ich kann heute mit Stolz von mir behaupten: Immer häufiger gelingt es mir, das Wilde und Gewühlige zu geniessen, undurchschaubar, unübersehbar, unzähmbar. Mein nächster Schritt wird sein, die Negation «Unordnung» konsequent durch das schöne Wort «Ordnungsfreiheit» zu ersetzen. Mein Ordnungs-Yin und mein Ordnungs-Yang haben sich gefunden.

Das allerdings bedeutet: Auch das Yin muss zu seinem Recht kommen. Gestern Abend habe ich meine Küche wieder auf Linie gebracht.

Text: Thomas Binotto