Ich habe gebetet, phasenweise sogar intensiv. Aber eine Antwort Gottes habe ich nicht erhalten. Und ich bin schon gar nicht mit ihm ins Plaudern gekommen.
Mir wurde zwar bald klar, dass «Gespräch mit Gott» bildhaft gemeint ist, trotzdem habe ich zu diesem Bild eine grosse Distanz bewahrt, weil es mir zu glatt daherkommt. Noch nie hat mir Gott auf meine Fragen eine konkrete Antwort gegeben. «Tu dies!» oder «Lass das!» höre ich von ihm nicht. Und erst recht hat er mich auf meine Anfragen hin nicht mit detaillierten Handlungsanweisungen versorgt. Auch einen Austausch von Argumenten vermisse ich bis heute.
Und dennoch: Heute sehe und höre ich Gott reden. In kleinen Dingen, die mir Mut machen. In Momenten, die wunderbarerweise trotz allem gelingen. In Zufällen, durch die sich etwas glücklich fügt. In einem unerwarteten Hochgefühl. In Menschen, die mir ungefragt die Treue halten. Es ist mir dann völlig egal, ob ich der Einzige bin, der gerade die Rede Gottes hört. Und ich muss auch niemanden davon überzeugen. Es ist mein persönliches Empfinden, das dann zählt: Ich fühle mich gehalten und getragen. Und ich höre darin Gottes Wort an mich.
Bei der Einordnung meiner «Gespräche mit Gott» hilft mir der vorchristliche Philosoph Platon. In seinem Höhlengleichnis erzählt Platon knapp zusammengefasst: Wir Menschen sitzen in einer Höhle, den Blick fest auf eine Höhlenwand gegenüber des Eingangs gerichtet. Auf dieser Höhlenwand sehen wir Bilder, die wir für die Wirklichkeit halten. Tatsächlich handelt es sich jedoch um die Schemen jener Realität, die ausserhalb der Höhle vom Licht angestrahlt wird und nun auf der Höhlenwand ein Schattenspiel aufführt.
Unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit und erst recht der Wahrheit ist wie Kino: Wir tauchen in eine Bildwelt ein und vergessen schnell, dass wir ein Licht- und Schattenspiel sehen.
So verstehe ich auch mein Gespräch mit Gott. Es ist kein Gespräch, das sich protokollieren liesse, und keine Gebrauchsanweisung, der ich folgen könnte. Ich erhalte bestenfalls eine Ahnung, manchmal eine innere Gewissheit, vielleicht einen Glauben.
Diese Vorstellung macht mich sehr zurückhaltend beim Verkünden von Wahrheiten, denn ich bin mir bewusst, dass ich das, was wirklich und wahr ist, nie unverstellt sehen werde. Es ist ein Schattenspiel, dem ich aufmerksam zu folgen versuche. In meiner Wahrnehmung stecke ich selbst immer mit drin. Was kommt von mir? – Was kommt von Gott? – Ich kann es nicht eindeutig unterscheiden. Der Schatten lässt sich nicht vom Licht lösen. Endlich glaube ich, verstanden zu haben, weshalb dieses eigentliche Licht, das unser Leben erhellt, nicht von allen Menschen mit dem gleichen Etikett versehen wird. Es gibt davon unendlich viele Schattierungen. Meine nenne ich «Gott».
Damit kann ich gut und gerne leben: Ich höre nicht Gott, wie er direkt zu mir spricht. Und doch spüre ich sein Wort in mir.