Carsten Wolfers, Sie sind Theologe. Wurde schon einmal eines Ihrer Gebete erfüllt?
Carsten Wolfers: Ja, klar. Vor einigen Jahren befand ich mich beispielsweise in einer festgefahrenen Situation und wusste nicht, wie ich meine innere Haltung positiver ausrichten sollte. Mir hat es geholfen, Emotionen und Erlebtes mit ins eigene Gebet zu nehmen und zu erfahren, dass auch andere Menschen mit mir fühlen und beten. Dadurch konnte ich mich mit meiner Einstellung auseinandersetzen und mich zuversichtlicher stimmen.
Sich in einer positiven Einstellung zu üben, ist auch Bestandteil des Manifestierens. Was denken Sie über diesen Trend?
Mir stellen sich die Fragen, weshalb es so viele verschiedene Personen anspricht und was da für ein Bedürfnis dahintersteckt. Das zu begreifen, ist für die eigene seelsorgerische Praxis ein wichtiger Punkt. Ich muss herausfinden, wo ich Antworten auf dieses Bedürfnis zu manifestieren in der eigenen Gemeinde, Kirche oder Spiritualität erkenne. Aus diesem Grund höre ich auch regelmässig in verschiedenste Podcasts hinein, um mich darüber zu informieren, was es alles auf dem spirituellen Markt gibt. Zudem interessieren mich Podcasts, in denen es um das Mindset geht, also eben darum, sich positiv auf oder für etwas einzustellen. So bin ich auch erstmals auf das Manifestieren aufmerksam geworden.
Was bevorzugen Sie, beten oder manifestieren?
Als Theologe bevorzuge ich es, zu beten. Aber man könnte sich vom Manifestieren auch etwas abschauen. Ich denke dabei etwa an Fürbitten in Gottesdiensten. Manchmal sind diese so allgemein formuliert, dass ich hinterher nicht wissen kann, ob Gott jetzt geholfen hat oder nicht. Und wenn ich etwas so allgemein formuliere, dann bedeutet das unter Umständen auch, dass ich gar nicht erwarte, dass Gott hilft. Ich plädiere dafür, dass wir unsere Wünsche und Hoffnungen doch sehr viel konkreter vor Gott bringen sollten. So sagte auch Jesus: Schütte Gott dein Herz aus, klopfe an und dir wird aufgetan.
Persönliche Wünsche in einer Fürbitte vor der Gemeinde vorzubringen, erfordert aber schon Mut. Vielleicht ist es uns auch peinlich und daher bleiben wir lieber allgemein?
Da frage ich mich wirklich, wieso soll uns das peinlich sein? In Gottesdiensten beten wir darum, im Glauben zu wachsen und vorwärtszukommen. Wieso machen wir das nicht auch an konkreten Dingen fest? Ein Beispiel wäre Frieden: Wir beten für die Ukraine, weil der Krieg in den Nachrichten ist und wir die Menschen dort nicht vergessen wollen. Aber genauso könnte mein Herz in diesem Moment von einem Streit in der Nachbarschaft belastet sein. Dann könnte ich in der Fürbitte doch formulieren: Wir bitten für Frieden, gerade in unserer Strasse. Was Gott daraus macht, ist ihre oder seine Sache. Wenn ich einen Wunsch habe, sollte ich konkret bleiben und das nicht verallgemeinern.
Was ist mit Wünschen nach Geld, Ruhm und Erfolg: Was würde Gott dazu sagen?
Durchs Manifestieren kann ich lernen, dass ich diese Wünsche in der Tat habe. Durchs Gebet kann ich lernen, dass ich diese Wünsche getrost vor Gott platzieren kann. Denn was Gott damit macht, können wir nicht beeinflussen. Zudem kommt durchs Beten das Element der Selbstkorrektur dazu. Das macht einen wesentlichen Unterschied zum Manifestieren aus. Ein Beispiel: Beim Manifestieren spreche ich zum Beispiel «Ich werde reich sein» und warte dann darauf, dass es passiert. Im Gebet formuliert man eher «Guter Gott, mach mich reich» und fügt dann etwas hinzu. Das kann zum Beispiel der Wunsch sein, sozial abgesichert zu sein oder sich wegen der finanziellen Situation nicht immer Sorgen machen zu müssen. Oder es kann die Bitte sein, die Hilfsbedürftigen nicht vergessen zu lassen. Die Nächstenliebe ist immer Bestandteil des Gebets, schon alleine dadurch, dass ich Gott liebe. Ich kann mich also nicht wie beim Manifestieren in einer Autosuggestion verlieren.
Als Gebetsanfänger könnte man nun etwas verunsichert sein, wie das Ganze funktioniert. Welches Gebet empfehlen Sie jenen, die Beten einmal ausprobieren wollen?
Man könnte einen Satz oder ein paar Worte aus einem bekannten Gebet wie dem Vaterunser herausgreifen wie «Gib mir täglich Brot» und dann mit etwas Persönlichem ergänzen. Gerade für einen Anfänger darf das sehr existenziell und konkret sein. Daher würden sich wohl auch ein Herzensgebet oder ein Stossgebet gut eignen, etwa indem ich in einer bestimmten Situation nur bete «Gott, hilf mir».
Um zurück aufs Mindset und das Manifestieren zu kommen. Macht uns Beten ebenfalls positiver?
Natürlich. Voraussetzung ist aber, dass der Glaube mit Friede, Verzeihung, Liebe, Hoffnung, Gelassenheit und Zuversicht gefüllt ist.
Manifestieren ist unter anderem auch im Trend, weil sich viele Menschen durch die Pandemie und Krisen fremdbestimmt fühlten. Wie ist das beim Beten? Stellen Sie angesichts der aktuellen Krisen fest, dass mehr Menschen beten?
Das ist schwierig festzumachen, weil Beten hauptsächlich im Privaten geschieht. In den Kirchen können wir aber gut feststellen, dass mehr Kerzen angezündet werden. Wenn diese Handlung von der Hoffnung oder Sehnsucht begleitet ist, dass Gott für uns Licht sein möge, dann ist das Anzünden von Kerzen übrigens auch ein Gebet, das sich für alle eignet.