«Kinder nicht um Gott betrügen»

Religiöse Erziehung

«Kinder nicht um Gott betrügen»

Der bekannte deutsche Religionspädagoge und Autor Albert Biesinger kommt nach Zürich. Im Gespräch erzählt er, warum es wichtig ist, religiös ­aufzuwachsen – für die Kinder und für die Gesellschaft.

Eines Ihrer Bücher trägt den Titel: «Kinder nicht um Gott betrügen». Was gewinnt ein Kind, wenn es mit Gott aufwächst?

Albert Biesinger: Eine grosse Verheissung für sein Leben. Und die Antwort darauf, warum wir auf die Welt kommen, wenn wir doch wieder sterben müssen. Kinder sind von Anfang an mit grossen Antennen unterwegs und wollen wissen, woher wir kommen und was das Ganze soll. Ausserdem wachsen Kinder in eine interreligiöse Welt hinein. Sie begegnen bereits in der Kita oder im Kindergarten anderen Kindern, die muslimisch, christlich, nicht- oder andersgläubig sind. Religion wird zwischen ihnen zum Thema, ohne dass sie von Erwachsenen darauf hingewiesen werden. Das haben wir in unserer Forschung gesehen.

Was schliessen Sie aus dieser Erkenntnis?

Dass religiöse Erziehung in der Familie und im Kindergarten gesellschaftlich sehr wichtig ist. Weil es dabei auch um die religiöse Verständigung zwischen den Religionen geht. Religion wird in diesem Jahrhundert gesellschaftlich zu einem Megathema und wir sollten unsere Kinder dafür fit machen.

Braucht es dazu religiöse Erziehung, reicht dafür nicht die Religionskunde?

Für Kinder aus einer religiösen Familie reicht das nicht. Auch mit einem Kind aus einer atheistischen Familie müsste man seine individuellen Sinnfragen besprechen. Die Idee der religiösen Erziehung ist, von den Wurzeln des jeweiligen religiösen Weges her den Dialog zu gestalten. Das ist viel anspruchsvoller, aber auch emotional stimmiger, weil es mit dem Personkern der Kinder zu tun hat. Dafür hat unsere «Stiftung Gottesbeziehung in Familien» ein grosses Filmprojekt entwickelt mit dem Namen: «Kleine Menschen – grosse Fragen».

Worum geht es dabei?

Wir haben Kurzfilme produziert mit Beispielen für Eltern und Betreuungspersonen, die zeigen, wie man interessant und unkompliziert mit Kindern über die grossen Fragen sprechen kann. Es sind berührende Dialoge mit Kindern.

Die Stiftung arbeitet aus einem «christlichen Sinnhorizont heraus». Akzeptieren das die Eltern von Kindergartenkindern, die anderen Religionen oder keiner angehören?

Die Filme sind interreligiös angelegt im Sinne einer gegenseitigen Würdigung der religiösen Wege. Die Beteiligten müssen akzeptieren, dass alle ihren eigenen Glauben haben dürfen. Auch Papst Franziskus sagt, dass es verschiedene Wege zu Gott gibt. Die katholische Kirche ist nicht allein seligmachend – wie dies früher strikt behauptet wurde.

Sie empfehlen auch atheistischen Eltern, ihr Kind religiös zu bilden. Wie kann das gehen?

Ein Beispiel: Ein Kind kommt nach Hause und sagt zu seinen atheistischen Eltern: «Meine Freundin hat gesagt, dass es Gott gibt», dann könnten die Eltern dem Kind raten, die Freundin zu fragen, ob sie das beweisen könne. Im Dialog sollen die Mädchen herausfinden, was für oder gegen die Existenz Gottes spricht. Das Beispiel geht so aus, dass beide eingestehen, ihre Meinung nicht beweisen zu können. Am Ende steht es 50 zu 50 und die Mädchen sind denkerisch weitergekommen, ohne sich gegenseitig den Glauben nehmen zu wollen oder zu missionieren.

Sie schreiben in ihrem Buch: «Es ist eine Frage konsequenten Denkens, seine Kinder religiös zu erziehen». Was meinen Sie damit?

Religion ist relevant im Alltag der Gesellschaften in Bezug auf Vorurteile, Herabwürdigungen bis hin zur Anwendung von Gewalt. Um diesen Problemen entgegenzuwirken, ist interreligiöse Bildung wichtig. Aus diesem Grund habe ich mich stark dafür eingesetzt, dass das Zentrum für islamische Theologie neben unserer katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen angesiedelt wurde. Es ist gefährlich und inkonsequent, wenn es keinen Dialog zwischen den Religionen gibt.

Angenommen säkulare Eltern hätten Ihr Buch gelesen und wollten ihr Kind religiös erziehen. Wie sollen sie vorgehen?

Ich würde den Eltern raten, auf die religiösen Fragen der Kinder einzugehen, ohne die eigene ideologische Schere im Kopf zu haben. Eltern können Kinder mit ihren religiösen Fragen begleiten, ohne ihre eigenen zu verleugnen.

Sie propagieren eine erfüllungsmotivierte Religiosität. Was bedeutet das?

Wer erfüllungsmotiviert religiös ist, handelt nicht aus Angst und Zwang, sondern aus dem Versprechen heraus, dass aus der Religion die Erfüllung des Lebens kommt. Das bedeutet, dass mein Leben heil gemacht wird und dass mein Leben über den Tod hinaus geht. Man überlässt sich einer grossen Verheissung. Das gibt eine Verschiebung von der Muss-Religion zu einer Hingabe-Religion.

Braucht es Religion, um auf die grossen Fragen der Kinder zu antworten?

Man muss die Welt nicht religiös deuten. Das wäre manchmal einfacher. Aber wenn die Kinder religiös fragen, muss ich auch religiös antworten. Ich kann auf die Frage nach der Schöpfung der Welt mit Gott antworten und die Urknall-Theorie gleich anfügen. Das schliesst sich nicht aus, denn die Wissenschaft hat keine Antwort auf die Bedingung des Urknalls. Vielleicht ist Gott diese Bedingung. Hier stehen wir wieder am Punkt, dass die Existenz Gottes weder bewiesen noch bestritten werden kann – fifty-fifty.

Text: Eva Meienberg