Muss ich stark im Glauben sein?

Eine gute Frage

Muss ich stark im Glauben sein?

Es ist seltsam, wie viel Schwäche das Christentum theoretisch zulässt – und wie wenig davon in der Praxis erlaubt wird.

Predigten über die Seligpreisungen klingen in meinen Ohren nicht selten nach einem verbalen Trostpflaster für all die lieben Schwachen dieser Erde. So häufig die Bergpredigt zitiert wird, so selten wird sie wirklich beherzigt. 

Sobald Menschen nämlich tatsächlich Schwäche zeigen, spricht ihnen die Superfrommheit nicht die entlastenden Worte der Bergpredigt zu, sondern wirft ihnen mangelnde Glaubenskraft vor. Die Moralkeule liegt oft näher als das Füllhorn der Seligpreisungen.

Neulich hat beispielsweise der Papst davor gewarnt, die «Ehe auf Sand zu bauen» und als Heilmittel dagegen den Glauben an den Heiligen Geist empfohlen. Ich bin noch selten bis nie Menschen begegnet, die ihre Beziehung leichtfertig in den Sand gesetzt hätten. So gut der päpstliche Ratschlag wohl gemeint war, so höre ich daraus doch einen Vorwurf an die Adresse jener, deren Beziehung scheitert. Hätten sie nur stark genug an den Heiligen Geist geglaubt, so die verkappte Botschaft, dann wären sie immer noch zusammen.

Es gibt einige Begriffe, die durch -vermeintliche Glaubensstärke heruntergewirtschaftet wurden. Demut beispielsweise wird mit Vorliebe auf andere gemünzt. Die sollen sich still und bescheiden verhalten. Also kein Mittel zur Selbstreflexion, sondern eine Aufforderung zur Unterwerfung. Synodal demütig reden fällt leicht. Synodal demütig handeln ist anstrengend.

Gnade – auch so ein Wort, das in Misskredit geraten ist – wurde allzu häufig mit Auserwähltheit gekoppelt. Unterschlagen wird dabei ein Wahrnehmen von Gnade, in der man sein Glück und seinen Erfolg nicht verdienen kann, auch nicht durch einen besonders starken Glauben. Gnade, wie ich sie verstehen will, führt uns von der Selbst-gerechtigkeit weg zu einer Kultur des Teilens und der Solidarität.

Auf meine Stärke, ob nun im Glauben oder sonst wo, will ich mir gar nichts einbilden. Ich glaube auch nicht daran, dass mich Stärke vor Unglück bewahren wird. Ob ich es nun über einen hohen Berg oder durch ein tiefes Tal geschafft habe: Es ist letztlich nicht Resultat von Leistungsfähigkeit und Glaubensstärke.

Die Botschaft, die ich aus der Bergpredigt höre: Wir sind weder an unserem Glück noch an unserem Unglück schuld. Seligkeit ist für uns alle gleichermassen unverdient verdient.

Text: Thomas Binotto