Nina trauert um Jamie. Sie trauert heftig, sie trauert tief, sie trauert ohne Unterlass. Bald wird sie sich selbst in ihrer Verlassenheit verlieren. Aber ihre Sehnsucht bewirkt ein Wunder: Jamie ist wieder da. Von den Toten auferstanden. Scheinbar ganz der alte Jamie, mit dem sich Nina wieder Eins fühlen kann.
Der britische Regisseur Anthony Minghella erzählt in «Wie verrückt und aus tiefstem Herzen» die klassische Sage von Orpheus und Eurydike, so wie man solche Geschichten 1991 in England erzählt hat: Eine feine Mischung aus Melodrama und Komödie. Lebensnah und dennoch überzeitlich.
Wie verrückt und aus tiefstem Herzen
Truly, Madly, Deeply – England 1991 / Regie: Anthony Minghella
Besetzung: Juliet Stevenson, Alan Rickman u. a.
Geister
Im Kino werden die Grenzen zwischen dem Diesseits und dem Jenseits häufig durchlässig. Weil unsere Phantasie es zulässt. Also begegnen wir Pete, der ein tollkühner Flieger ist, bis er bei einem Löscheinsatz stirbt, dann aber im Zwischenreich stecken bleibt. Als unsichtbarer Begleiter wird er zum Mentor eines jungen Fliegers. Damit erhält Petes Leben nach dem Tod und vor dem Jenseits einen Sinn, bis er mit ansehen muss, dass sich seine Freundin aus-gerechnet in die junge Version seiner selbst verliebt. «Always» von Steven Spielberg folgt einem häufigen Muster des Grenzgänger--zwischen-den-Welten-Motivs. Eine Geistergeschichte – einfach ohne Grusel.
Always
USA 1989 / Regie: Steven Spielberg
Besetzung: Richard Dreyfuss, Holly Hunter u. a.
In «Der Himmel soll warten» wird ein anderes Muster verfolgt: Der Football-Champion Joe wird irrtümlich allzu früh ins Paradies abberufen. Ein dummer Fehler, den das Jenseits gerne korrigieren würde. Aber als der Irrtum rauskommt, ist Joes Körper längst eingeäschert. Also wird er in der Hülle eines Fremden ins irdische Leben zurückgeschickt. So weitermachen, als ob nichts geschehen wäre, ist auch für Joe keine Option.
Eifersucht
Mit der Wiedererweckung ist es offenbar verzwickt, weil sich die Lücke, die ein Verstorbener hinterlässt, sogleich wieder schliesst. Sollte er zurückkehren, ist an seinem Platz bereits wieder neues Leben eingezogen. Darauf reagieren die Rückkehrer meist mit Unverständnis. So wie Menschen, die nach Jahrzehnten ihr Heimatdorf besuchen und entrüstet feststellen, dass es die Bäckerei von damals nicht mehr gibt und sich auch sonst so einiges verändert hat. Was fällt dem Leben nur ein, sich nicht an den Dichter W. H. Auden zu halten, der in seiner berühmten Totenklage wortmächtig verlangt: «Stop all the clocks, cut off the telephone»!
Wenn man dem Kino glauben darf, sind Verstorbene meist eifersüchtige Wesen. Sie erwarten, dass die Welt zur starren Kulisse wird, sobald sie die Bühne verlassen. Das Leben soll zum Standbild einfrieren. Und Trauernde ewig Trauernde bleiben.
Untote
Der extremste Ausdruck dieser Eifersucht auf die Lebenden findet sich in einem Genre, das sich eigens den Wiedererweckten verschrieben hat. Zombies holen sich die Welt und die Lebenden mit seelenloser Brutalität. Ihre Wiedereingliederung in den Lebensstrom misslingt komplett. In der Serie «The Walking Dead» wird aus dieser Horrorvorstellung eine verstörende Vision. Wir werden in eine Welt ausgesetzt, die zur leblosen Wüstenei geworden ist, überbevölkert von Menschen, die weder sterben noch leben können. Hinter jeder Ecke lauert der Untod. Zombies sind Geschöpfe einer Phantasie, in der es kein Jenseits mehr gibt. Und wo die Toten nicht mehr Platz machen können, da kann auch nichts mehr wachsen.
Wie schrecklich unsere Vorstellungskraft doch ist. Könnte sie ihre Freiheit nicht dazu nutzen, uns ein gnädigeres Schicksal auszumalen? Wiedererweckung als rosa Märchen. In dem alles gut wird und niemand mehr sterben muss.
The Walking Dead
USA 2010-2022 / Idee: Frank Darabont
Vorlage: Robert Kirkman, Tony Moore
Neuanfang
Es ist erstaunlich, dass wir Menschen selbst in unserer Phantasie vor der Wiedererweckung zurückschrecken. Im Kino enden praktisch ausnahmslos alle Rückkehrer-Geschichten damit, dass am Ende die Verstorbenen wieder in ihren Tod zurückkehren oder – im Licht des Glaubens gesehen – in den Himmel. Wenn wir versuchen, unsere Trauer mit der Wiederherstellung des Status quo zu überwinden, dann geht das offenbar nicht einmal in unserer Phantasie auf. Trauer wandelt sich erst dann, wenn vergangenes Leben aufgehoben wird und neues Leben wachsen kann. Nur der Abschied ermöglicht den Neuanfang.
Wer früher stirbt ist länger tot
Deutschland 2006 / Regie: Marcus H. Rosenmüller
Besetzung: Markus Krojer, Fritz Karl u.a.
In seinem Film «Wer früher stirbt ist länger tot» findet Marcus H. Rosenmüller dafür ein wunderbares Gleichnis: Der elfjährige Sebastian fürchtet sich vor dem Tod wie kaum ein anderer. Deshalb stellt er dem Stammtisch im Wirtshaus seines Vaters die für ihn entscheidende Frage: «Weshalb muss man eigentlich sterben?» – Die Antwort fällt mit Blick auf die Ahnengalerie an der Wand knapp und klar aus: «Wenn all diese Verstorbenen noch leben würden, ja dann gäbe es am Stammtisch keinen Platz mehr.»
Nina will von diesem Gleichnis nichts wissen. Erst recht nicht im Taumel der Wiedervereinigung mit Jamie. Bis der Geliebte all seine Kumpels aus dem Jenseits zum gemütlichen Filmabend mitbringt. Allmählich wird auch Nina klar, dass sowohl ihr wie Jamie im scheinbaren Triumph über den Tod das Leben abhandenkommt. Am Ende erlaubt Nina ihrer Liebe jene Transformation, die schon im Originaltitel des Films vorgezeichnet ist: -«Truly, Madly, Deeply». Sie hat Jamie wahrhaftig geliebt – sie liebt ihn bis zum Wahnsinn – und sie wird ihn über den Tod hinaus mit aller Tiefe lieben. Nur so kann sie ihn gehen lassen.