«Kirchenrecht» in zwei Landeskirchen

Serie: Der feine Unterschied

«Kirchenrecht» in zwei Landeskirchen

Ein Wort, verschiedene Bedeutungen: Wie es kommt, dass der Begriff «Kirchenrecht» in der evangelisch-reformierten Kirche anders verwendet wird als in der römisch-katholischen.

Seit Juli 2024 wird in der Stadt Zürich die Kirche St. Peter renoviert. Nun ist eine Gebäudesanierung nichts Aussergewöhnliches. Speziell an dieser Kirche ist jedoch, dass sie zwei Eigentümerinnen hat: Während das Schiff, der Glockenstuhl, die Glocken und der angebaute Turmeingang der reformierten Kirchgemeinde gehören, ist der Turm im Besitz der Stadt Zürich. Der Grund liegt in historisch gewachsenen Eigentumsrechten, die gerade bei religiösen Bauten auch anzeigen, ob ein Gebiet einst reformiert oder katholisch dominiert war.

Die etwas seltsame Eigentümerschaft hat daher auch damit zu tun, wie sich die Kirchen rechtlich strukturieren. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz wandte sich die Reformation gegen das Kirchenrecht: Luther verbrannte die kirchlichen Rechtsbücher und die Zürcher Reformation kündigte dem Bischof von Konstanz seine Gerichtskompetenzen auf. Der Kirchenbesitz wurde säkularisiert und Kirchengebäude standen von nun an unter staatlicher Obhut. Später errichtete katholische Kirchen gehörten meist kirchlichen Stiftungen.

Trotzdem sind die evangelisch-reformierten Kirchen in der Schweiz rechtlich geordnet – sie kennen Kirchenverfassung, Kirchenordnung, Kirchengesetz. Diese sind aber Teil des Rechts im jeweiligen Kanton. Ein über diese Grenzen hinaus geltendes Kirchenrecht, wie es die katholische Kirche kennt, besitzt die reformierte Kirche nicht. So gibt es rechtlich gesehen viele kantonale reformierte Kirchen, die sich auf Bundesebene im Verein «Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz» verständigen. Ein duales System wie bei den Katholiken gibt es folglich auf reformierter Seite nicht. Wegen dieses Systems hat zwar auch die römisch-katholische Kirche in der Schweiz kantonale Organisationsstrukturen; mit der kirchenrechtlichen Seite ist sie aber auch in Bistümer unterteilt, deren Grenzen nicht kantonal sind. In der Schweiz lässt sich die Struktur der evangelisch-reformierten Kirche darum eher parallel zur staatlichen Struktur darstellen als jene der römisch-katholischen Kirche.

In traditionell reformierten Kantonen sind Kirchenbauten häufiger in staatlichem Besitz als in traditionell katholischen – wobei Zürich ab 1964 die Ausnahme darstellt: Der Kanton begann, die reformierten Kirchenbauten den Kirchgemeinden zu überschreiben. Mit wenigen Ausnahmen, wie dem Turm der Peterskirche, sind auch reformierte Kirchenbauten in Zürich heute nicht mehr in staatlichem Besitz.

Text: Severin Schnurrenberger, Forschungsmitarbeiter an der Professur für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Luzern