Der Ton, der sich verändert

Bistum Chur

Der Ton, der sich verändert

Joseph Bonnemain spricht mit den Menschen statt über sie. Überfälligen Reformen wird auch er sich stellen müssen.

Bischofsweihe in der Kathedrale von Chur: von den Bischöfen sprach zuerst Peter Bürcher, dann Kurt Koch, zu guter Letzt der neu geweihte Joseph Bonnemain. Und er war es dann, der «mit uns» sprach, und weniger «zu den Menschen». Lebendig, herzlich, engagiert sprach er, mit leuchtenden Augen. Mit einer Körperhaltung, die sich über den Ambo hinweg ausstreckte zu den Anwesenden, als wolle er eine Barriere überwinden. Denn eine Barriere gibt es. Sie wurde auch und gerade in dieser Weiheliturgie sichtbar: männlicher Klerus und Ministranten erhöht und um den Altar vorne, alle anderen darunter und dahinter. Nicht der besseren Sichtbarkeit der Akteure war diese Ordnung geschuldet. Sie ist die Inszenierung von jenem Menschenbild, das die Hierarchie unserer Kirche weiterhin vertritt – trotz der Bemühungen vieler Einzelner, möglichst viel Menschennähe zu leben.

Frauen waren in Albe präsent im Gottesdienst und hatten aktive Aufgaben inne, aber aus welchem Grund sassen sie nicht im Altarraum? Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Stärke des Zeichens zum Schluss noch einmal deutlicher, eine Stärke, die intuitiv spürbar war: Als Neugeweihter bittet Bischof Joseph um den Segen der Menschen. Er geht dazu nicht nur hinunter, aus dem Altarraum hinaus, er kniet dazu nieder. «Uscire – hinausgehen» heisst das im neuen Ton von Bischof Joseph und vielleicht war dieses Zeichen ja ein Anfang dafür. Auch als Bischof möchte Joseph Bonnemain offenbar hinausgehen zu den Menschen, zumindest nennt er es als eines seiner zentralen Anliegen und sagt: «Schliesst euch mir an bitte.»

Spürbar und nachvollziehbar wird an dieser Stelle, wie sehr sich Joseph Bonnemain nach einer Kirche sehnt, wie sehr er jetzt eine Kirche gestalten will, in deren Mitte das Evangelium steht – und nicht Fragen nach Strukturen und Institutionen, deren Ausarten in Grabenkämpfe er selbst nun über Jahrzehnte erleben, aushalten und ausgleichen musste. Leidenschaftlich sagt er: «Wir sollten uns nicht mit uns selbst beschäftigen. Nicht einmal die diözesanen Institutionen und Strukturen sollten unser Denken und Reden dominieren. Die Menschen, die auf uns warten, interessiert das nicht. Die Menschen haben andere Sorgen.» Und weiter: «Die Menschen draussen möchten von uns hören und an uns sehen, dass Gott jeden Menschen liebt – immer, dass er uns glücklich will, dass er uns ein ewiges Zuhause bereitet hat. Institutionen und Strukturen interessieren sie nicht.» Unbestritten. Die Menschen möchten die Frohe Botschaft «an uns sehen» – wo wir allerdings doch wieder bei den Strukturen wären. Bischof Bonnemain muss bewusst sein, dass keine Glaubwürdigkeit hat, wer diskriminiert und intransparent entscheidet und wer sich drückt, diese unsere Strukturen zu reformieren, die das begünstigen. Als Bischof müsste Joseph Bonnemain nun konsequent handeln: Im Wissen darum, dass jene, zu denen er hinausgehen möchte, nicht selten jene sind, die durch kirchliche Mitarbeitende verletzt wurden, enttäuscht sind von leeren Worten, realen Missständen und der Verzögerungstaktik der Verantwortlichen.

Zu einer Erneuerung und zum «anspruchsvollen Weg der Synodalität» bekennt sich der neue Churer Bischof, den er im Einklang mit Papst Franziskus hier vor Ort wagen wolle. «Synodalität ist ein Ausdruck für die Geschwisterlichkeit in der Kirche. Aber: Es ist noch viel mehr als das. Was wir gemeinsam wollen, ist wichtig – noch wichtiger ist aber, was der Heilige Geist für unser Bistum will, vereint mit dem Papst und in der Communio der Kirche.» Die Einheit wird in dieser Liturgie häufig beschworen – wie sie in einer Kirche vielfältiger Menschen in einer pluralen Gesellschaft lebbar werden könnte, bleibt gleichermassen offen: «Streben wir aufrichtig die Einheit des Bistums an und lassen wir dessen Vielfalt aufblühen», sagt der neue Bischof.

Kurt Koch hatte zuvor in seiner Predigt das Bistum Chur als eines benannt, das «sich sehr gespalten präsentiert». Explizit lud er dazu ein, über die viel genannte Brücke «aufeinander zuzugehen und sich die Hand zu reichen». Mit dem Kirchenvater Cyprian von Karthago wird der Kurienkardinal etwas konkreter: «Nichts ohne den Bischof – nichts ohne den Rat des Presbyteriums – nichts ohne die Zustimmung des Volkes». Will Bischof Joseph vor allem mit dem dritten Teil ernst machen, dann muss er tatsächlich nach draussen gehen. Stark, dass er sich dafür in seiner Weiheliturgie den entsprechenden Bischofsstab ausgewählt hat: einen Wanderstab der frühen Glaubensboten. Mit ihm in der Hand soll womöglich bereits Asinio, der erste dokumentierte Bischof von Chur, im 5. Jahrhundert mit dem Evangelium zu den Menschen unterwegs gewesen sein.

Text: Veronika Jehle