300 Absagen mit vagen Begründungen

Reportage

300 Absagen mit vagen Begründungen

Wer über 50 Jahre alt ist und einen Job sucht, hat es schwer auf dem Arbeitsmarkt. Die kirchliche Fachstelle für Arbeitslosigkeit DFA hat dafür ein spezielles Coaching entwickelt.

«Das Schlimmste war», sagt Denis Schwarz, «keine Chance mehr zu bekommen.» Und die Reduktion seiner Person auf das Alter. Er war 56, als er seine Arbeit verlor. «Ohne Vorwarnung, aus dem Nichts», erinnert er sich. Der Chef, der immer zufrieden war mit ihm, hatte seine Stelle einem Bekannten zugeschanzt. Der Stadtzürcher machte sich anfänglich nur wenige Sorgen, ob er etwas Neues findet. Denn Denis Schwarz ist gut ausgebildet und qualifiziert, erfahren im Job, hat ein gewinnendes Wesen. Nach der Kunstgewerbeschule arbeitete er als Grafiker und Art Director in namhaften Werbeagenturen auf dem Platz Zürich. 

Doch auf Bewerbungen bekam er nur Absagen mit vagen Begründungen, rund 300 Mal: «Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen.» Die Werbebranche ist überschaubar, deshalb bewarb sich Denis Schwarz auch als Buschauffeur, als Gärtner. «Ich war mir für nichts zu schade, aber mit 50 gehen viele Türen zu», stellte Denis Schwarz fest. Das RAV (Regionales Arbeitsvermittlungszentrum) half mit den üblichen Arbeitsmarkt-Massnahmen, er besuchte Schulungen und Kurse. Einladungen zu Vorstellungsgesprächen erhielt er trotzdem keine, bekam nie die Gelegenheit, einen potenziellen Arbeitgeber von sich und seinen Fähigkeiten zu überzeugen. «Das macht schon etwas mit einem», sagt Denis Schwarz, der sich moralisch aber nie hängen liess. Er gab seinem Tag Struktur, ging viel spazieren. Zukunftsängste plagten ihn trotzdem, seine beiden Töchter sind noch in der Ausbildung. 

Zwei Jahre war Denis Schwarz auf Arbeitssuche, bis er das Angebot der kirchlichen Fachstelle für Arbeitslosigkeit DFA kennenlernte. Foto: Christoph Wider

Solche beruflichen Schicksale sind nicht selten. Der Kanton Zürich zählt mehr als 1500 Langzeitarbeitslose über 50, wobei die Statistik längst nicht alle erfasst. Bei der kirchlichen Fachstelle für Arbeitslosigkeit DFA werden aktuell 25 über 50-jährige Stellensuchende betreut. Unter anderem von Mirjam Studer. 

Bevor die gut vernetzte Case-Managerin und ehemalige HR-Managerin konkrete Unterstützung bei der Standortbestimmung und Stellensuche bietet, lässt sie neue Klienten erst einmal erzählen. Vielfach müssen diese sich erst den Frust über ihre Situation, die Enttäuschungen bei der Stellensuche, die damit verbundenen Sorgen und Ängste von der Seele reden. Um ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen, ist diese Begegnung auf der psycho-sozialen Ebene oft schon die halbe Miete. «Endlich jemand, der mir zuhört», dieser Satz fällt häufig. Mirjam Studer verschafft sich nicht nur einen Überblick über die berufliche Biografie eines Klienten, sondern spricht auch Persönliches an wie Gesundheit, soziales Umfeld, Wohnsituation, Finanzen usw. und regt Lösungen und neue Perspektiven an. «Wir können uns mehr Zeit nehmen, um auf den Menschen einzugehen, als das beim RAV oder Sozialdienst möglich ist», sagt Mirjam Studer. Diese Zeit ist gut investiert. 

«Zeit ist oft der entscheidende Faktor in der Prozessbegleitung», sagt DFA-Case-Managerin Mirjam Studer. Foto: Christoph Wider

Denn oft ist dieser Faktor die entscheidende Komponente in der Prozessbegleitung. Zum Beispiel bei Neuorientierungen. «Da muss ein Gedanke erst einmal eingepflanzt werden und wachsen können», sagt Mirjam Studer und erzählt vom gesundheitlich angeschlagenen Bauarbeiter, der unbedingt wieder Plättli legen wollte. Er vermisste das Unterwegssein zu den Baustellen, das Zusammentreffen mit Menschen. Die vorgeschlagene Umschulung zum Chauffeur wollte er trotz IV-Unterstützung nicht. Begleitet von seiner Beraterin änderte er zögerlich seine Einstellung. Heute fährt er Schulbus und ist glücklich dabei. Um solche Impulse zu setzen, denkt Mirjam Studer oft auch um Ecken, sucht in Vorberufen und Hobbys nach Kompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt helfen, dann zieht sie Fäden, nutzt Kontakte. 

Denis Schwarz war seit zwei Jahren auf Arbeitssuche, als ihn seine Exfrau auf das Angebot der DFA aufmerksam machte. Anfang 2021 sass er seinem Berater Martin Machytka erstmals virtuell gegenüber. «Es war grossartig, dass ich auf einen engagierten Coach zählen konnte. In dieser Zeit habe ich wieder Hoffnung und Zuversicht gewonnen», erklärt der heute 59-Jährige. Er lernte, zu definieren, was er einem Arbeitgeber anbieten kann, wie er sich selber besser präsentieren kann, sein Netzwerk stärkt und ausbaut. Aus diesem kam der entscheidende Tipp: Eine Bekannte machte ihn auf eine 50 %-Stelle in einer kleinen Werbeagentur aufmerksam. Zwischen Schwarz und dem Inhaber stimmte die Chemie auf Anhieb. Er bekam die Stelle: «Das war so ein gutes Gefühl.» Neben der neuen Arbeit baut sich Denis Schwarz nun ein zweites Standbein als selbständiger Grafiker auf und konnte bereits einige Aufträge an Land ziehen, wie z. B. die Gestaltung der ersten Ausgabe von Credo, dem neuen Magazin für die Mitarbeitenden der katholischen Kirche im Kanton Zürich.  
 

Text: Angelika Nido Wälty, freie Journalistin