Schutzstatus S löst Fragen aus

Interview

Schutzstatus S löst Fragen aus

Geflüchtete aus der Ukraine erhalten unmittelbar den Schutzstatus S. Andere Flüchtlinge müssen länger auf einen Status warten. Priska Alldis von der Caritas Zürich zur Frage nach der Gerechtigkeit.

Der Schutzstatus S wird zum ersten Mal angewandt für geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Welche Erfahrungen machen Sie damit?

Priska Alldis: Grundsätzlich gute. Es ist aus meiner Sicht völlig klar, dass der Schutzstatus jetzt zum Einsatz gebracht werden musste. Das bisherige Asyl-System wäre sonst aus Überlastung zusammengebrochen.

Warum?

Bei so vielen Menschen, die zur gleichen Zeit flüchten müssen und bei uns ankommen, kann nicht jede und jeder ein geregeltes Asylverfahren bekommen. Das ist von den Ressourcen her schlicht nicht möglich.

Andere Geflüchtete warten seit Jahren auf einen Status, mit dem sie arbeiten oder sich niederlassen dürfen. Ist das nicht ungerecht?

Seit dem Jahr 2019 gibt es das neue Asylverfahren, das vorsieht, dass jede geflüchtete Person nach maximal 140 Tagen einen Entscheid haben muss. Sobald der Entscheid vorliegt, ob die Person als Flüchtling anerkannt werden kann oder «nur» vorläufig aufgenommen wird, darf die Person arbeiten. Insofern sind es nur noch wenige, die für lange Zeit warten müssen.

Sie sehen also keine Ungerechtigkeit?

Es ist tatsächlich eine Ungleichbehandlung zwischen jenen, die aus dem Kriegsgebiet der Ukraine flüchten und den Schutzstatus S erhalten – und jenen, die aus einem anderen Kriegsgebiet kommen und dann eine vorläufige Aufnahme erhalten.

Was antworten Sie einem geflüchteten Menschen, den es irritiert, dass nun andere kommen, die unmittelbar mehr Rechte erhalten?

Ich habe kürzlich mit jemandem gesprochen, der erst im Verlauf eines längeren Gespräches ausgesprochen hat, wie ungerecht behandelt er sich vorkommt. Ich musste sagen: «Ja, Sie haben Recht. Es ist im Moment keine Gleichbehandlung.» Ich habe ihm dann auch gesagt: «Wissen Sie, wenn alle jetzt ein ausführliches Asylverfahren hätten, dann wäre das System kollabiert.» Aber: Es ist keine Gleichbehandlung, das stimmt.

Was müsste sich am gegenwärtigen Aufenthaltsstatus-System ändern?

Grundsätzlich stelle ich das Asylsystem nicht in Frage. Es ist gut, dass Asylgesuche sorgfältig geprüft werden, Anhörungen stattfinden und auch Fakten miteinbezogen werden. Tatsächlich frage ich mich allerdings, ob der Schutzstatus S nicht zukünftig für alle Geflüchteten aus Kriegsgebieten automatisch zur Anwendung kommen könnte, statt sie zunächst vorläufig aufzunehmen. Mir ist aber bewusst, dass die Entscheidungen über den Schutzstatus einzelner Geflüchteter im Detail wieder recht anspruchsvoll werden würden. 

Woran denken Sie dabei?

Während es bei der Ukraine klar ist – ein Land ist der Aggressor, das andere wird angegriffen – ist es in Situationen, in denen zum Beispiel ein Bürgerkrieg wütet, viel weniger eindeutig. Je näher hingeschaut wird, desto komplexer wird es. Ich finde schlussendlich, auch gegenwärtig wird das Asylsystem bereits einem hohen Mass an Komplexität gerecht.

Text: Veronika Jehle