Stresstest Zügeln

Editorial

Stresstest Zügeln

Umziehen geht nicht ohne Verzweiflungsmomente. Manchmal sind sie erdrückend und langanhaltend, manchmal gehen sie vorüber. Was macht den Unterschied?

Vor kurzem sind zwei meiner Freundinnen in neue Wohnungen gezogen. Meine eigenen Umzugserfahrungen sind zwar lange her – aber an etwas erinnere ich mich sehr deutlich: Es gab jedes Mal Verzweiflungsmomente, wo ich dachte, ich packe es nicht mehr.

Vor Jahren schon ist die eine Freundin umgezogen. Weil renoviert wurde, musste sie etwas Neues suchen. In der Not hat sie die erstbeste Wohnung genommen. Die Zügel-Verzweiflung wurde beinahe zum Trauma. Alles Räumen, Sortieren, Packen war eine Qual. Und es dauerte lange, bis ihr am neuen Ort einigermassen wohl war.

Diesmal gab es keinen Grund, auszuziehen. Als eine Alterswohnung frei wurde, hat sie um diese Wohnung gekämpft – obwohl sie kleiner als die bisherige ist. Es war wieder ganz viel Loslassen, Entscheiden, Entsorgen gefragt. Genau das, was so traumatisch in Erinnerung war. Auch diesmal blieb das Gefühl völliger Überforderung nicht aus. Aber: Es war anders. Es waren Momente. Sie waren zu überwinden. «Der liebe Gott hat mir mittels vieler Freunde beim Überwinden geholfen», sagt sie.

Ich glaube, der Unterschied ist die eigene, freie Entscheidung. Meine Freundin fühlte sich diesmal nicht als Opfer von Beschlüssen anderer oder von Umständen, sondern hat selbst gehandelt. Und dabei immer wieder nach vorne geschaut, sich trotz Ängsten und Zweifeln Gutes von der Zukunft er-wartet. Nun geniesst sie eine wunderbare Aussicht auf den Zürichsee und kann das Glück der kleinen, aber feinen Wohnung kaum fassen.

Ich muss aktuell nicht umziehen. Aber auch ich kann im Alltag immer wieder frei entscheiden und – obwohl nicht immer offensichtlich – Gutes erwartend in die Zukunft gehen.

Text: Beatrix Ledergerber