Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche – drei Kommentare

Schwerpunkt

Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche – drei Kommentare

In der Printausgabe des forums (13/2021) äussern sich die Mitglieder der Bistumsleitung einzeln zu den Perspektiven, die sie persönlich für die Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche sehen. Die Redaktion hat sich dieser Herausforderung ebenfalls gestellt: Beatrix Ledergerber, Veronika Jehle und Thomas Binotto nehmen persönlich Stellung. Ihre Kommentare wurden untereinander bewusst nicht abgesprochen.

Ich bin erschüttert

Ein Kommentar von Beatrix Ledergerber-Baumer

Ich liebe die Kirche, und ich fühle mich darin zuhause – möchte ich gerne sagen, aber das kann ich fast nicht mehr. Denn ich bin erschüttert, wie tiefgreifend die Gesprächs-Blockaden zwischen kirchlichen Verantwortlichen sind – wie das Rücktritts-Angebot von Bischofs Marx es gerade deutlich gemacht hat. Und ich bin erschüttert, wie dramatisch negativ sich die Struktur der Kirche in Sachen Missbrauchsfällen, sexueller Gewalt und geistlichen Machtmissbrauchs ausgewirkt hat.

Ich bin in der katholischen Kirche aufgewachsen und sie ist Teil meiner Identität. Ich sehe das «Innere» der Kirche, dass sie von Christus gestiftet ist, dass mit einer Weihe auch eine Verbindung mit Christus und in der Kirchengeschichte verbunden ist, dass jedes Amt von Jesus her als Dienst gedacht ist. Doch ich bin inzwischen überzeugt, dass dieses «Innere» nicht geschützt wird, indem die Struktur nicht verändert wird, sondern im Gegenteil: das innerste Geheimnis der Verbundenheit mit Christus wird uns verloren gehen, wenn die Struktur so bleibt wie sie ist. Zuviel Macht und Angst hat sich in diese Struktur eingeschlichen, und zu sehr wecken monarchisch anmutende Formen der Leitung Unverständnis, wenn nicht Abscheu. Zu sehr wurde die Kirche – statt ein Ort der Gotteserfahrung zu sein – zu einem Ort der gefühlten Gottesabwesenheit.

Ein Teil der notwendigen Veränderungen besteht darin, auf allen Ebenen die Leitungsverantwortung nicht mehr nur Männern, sondern auch Frauen zu übergeben. Und dies geht nur über die Weihe, da Führungsmacht damit verbunden ist. Selbst wenn Weihe und Macht entkoppelt würden, bleibt es dabei: alle Ämter müssen für Frauen und Männer gleichermassen zugänglich sein. Dies einfach «Rom» oder «der Weltkirche» zu überlassen, greift zu kurz. Im Rahmen des Bestehenden das Mögliche tun, ist ein Weg, aber er führt über kurz oder lang in die Sackgasse.

Wir alle, die wir uns um diese Kirche sorgen, mit und ohne Ämter oder Aufgaben, können uns klar äussern. Wir werden die Verantwortlichen immer und immer wieder daran erinnern, dass sie Änderungs-Vorschläge im Rahmen des synodalen Weges in die Weltkirche einbringen müssen – und dabei den Mut haben, auch etwas zu fordern, das noch nicht in allen Teilen der Welt Zustimmung findet. Es braucht mehr Kompetenzen zu regional unterschiedlichen Wegen – die aber auch nur dann möglich sind, wenn alle Betroffenen vor Ort offen und ohne Angst miteinander reden können.


Gleichberechtigung lässt sich strukturell ermöglichen

Ein Kommentar von Veronika Jehle

Wenn Frauen und Männer, wenn Menschen die gleiche Würde haben, dann müssen sie logischerweise auch gleiche Rechte haben und – unabhängig vom Geschlecht – vollumfänglichen Zugang zu Ämtern, Verantwortungen und Mitgestaltung. Von Bischöfen und Generalvikaren, von Bischofsrätinnen lässt sich diese Erkenntnis momentan durchaus hören. In Abstufungen, mit persönlichen Schwerpunkten – und doch immer wieder deutlich und zumindest dahingehend. 

Etwas bleibt für mich aber erschreckend und schlicht nicht nachvollziehbar: die Konsequenzen daraus zu ziehen, und zwar dort, wo sich im eigenen Handlungsspielraum die Konsequenzen daraus ziehen lassen – nämlich in den eigenen Reihen der Kirche – diese Konsequenz bleibt immer und immer wieder aus. Sie würde heissen, dass die Verantwortlichen Gleichberechtigung tun und umsetzen. 

Gleichberechtigung lässt sich nicht erzwingen, sie lässt sich aber strukturell ermöglichen. Und darum geht es: Es ist die Verantwortung und die Aufgabe von Bischöfen vor Ort und im Vatikan, nicht mehr an unseren faktisch diskriminierenden Strukturen festzuhalten, sondern ebendiese Strukturen unserer Kirche so anzupassen, dass sie ein gleichberechtigtes Leben und Arbeiten ermöglichen. Bei aller unbestrittenen Notwendigkeit von Synodalität, das Setzen von Rahmenbedingungen und Strukturen ist und bleibt Leitungsverantwortung, in der Kirche wie in jeder anderen Gemeinschaft. Bischöfe, Generalvikare, der Bischofsrat sind also diesbezüglich automatisch in der Pflicht, und nehmen sie diese nicht wahr oder schieben diese nach oben ab, so konservieren sie den gegenwärtigen Zustand und entscheiden sich, Diskriminierungen von Frauen gegenüber Männern aufrecht zu erhalten. 

Die Argumentationslinien und die Handlungsweisen von Bischöfen verfolgend, bin ich mir oft nicht sicher, inwieweit sie sich ihrer diesbezüglichen persönlichen Verantwortung in ihrer Rolle als Leitende bewusst sind. Wiederholt höre ich kirchliche Verantwortliche in Leitungspositionen auf unterschiedlichen Ebenen, wie sie von sich selbst sagen, sie hätten weder die Möglichkeit, noch die Macht, noch die entsprechende Position, Veränderungen vorwärts zu bringen und umzusetzen. Und selbst Päpste sagen nicht selten von sich selbst, sie oder «die Kirche» habe keine Vollmacht, Strukturen zu verändern, obwohl diese unbestrittener Massen von Menschen in einem gewissen historischen Kontext gemacht wurden. 

Wer trifft also Entscheidungen? Wer übernimmt Verantwortung? Wer tut, was als nötig und gut erkannt worden ist für die Gemeinschaft unserer Kirche vor Ort und global? In der momentanen Rhetorik scheinen innerhalb der Hierarchie immer «die anderen» verantwortlich zu sein. Oder ist es womöglich so: Unsere kirchliche Hierarchie wirkt nach aussen hin klar strukturiert, nach innen hin besteht sie aber aus weitgehend undurchsichtigen Entscheidungsstrukturen? Das würde den Schluss nahelegen, dass die römisch-katholischen Strukturen darauf angelegt sind, zu verwirren und Entscheidungen zu verhindern.

Von Bischöfen und von deren Berater*innen ist zu erwarten, dass sie sich für sich persönlich und gemeinsam positionieren und entsprechend handeln. Zu Beginn einer neuen Amtszeit im Bistum Chur stellt sich also neu die Frage: Positioniert sich unser Bischof, positioniert sich sein Bischofsrat, positioniert sich die Bischofskonferenz und handelt zugunsten gleicher Rechte von Frauen und Männern in unserer Kirche?


Argumente gegen das Frauenpriestertum – und was ich davon halte

 Ein Kommentar von Thomas Binotto

Es ist schon einige Zeit her, da hielt ich das Priestertum der Frau für unnötig. Ich kenne deshalb die gängigen Argumente gegen die Priesterinnenweihe nur allzu gut. Heute überzeugt mich allerdings kein einziges dieser Argumente mehr.

Jesus hat keine Frauen als Jüngerinnen berufen.
Daraus ein Verbot des Frauenpriestertums abzuleiten, entbehrt jeder Logik. Jesus hat auch keine Römer berufen. Wer aus einer Unterlassung eine Ablehnung konstruiert, unterschiebt Jesus eine Haltung, die er gar nie vertreten hat. An keiner Stelle der Evangelien verbietet Jesus die Priesterinnenweihe. Und «Schweigen heisst ablehnen» ist bekanntlich kein geläufiges Sprichwort.

Es ist Gottes Wille.
Das scheinbar stärkste Argument ist in Wahrheit schwach und zudem äusserst gefährlich. Menschen und Institution, die Gottes Willen für ihr Handeln in Anspruch nehmen, erklären sich selbst zum Lautsprecher einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. Sie wollen uns weismachen, dass ausgerechnet sie den Willen Gottes eins zu eins wiedergeben. Sie wollen uns verstummen lassen und uns den eigenen Willen rauben. Deshalb sind jene, die behaupten, Gottes Willen zu tun, so wahnsinnig gefährlich: Sie machen sich selbst zum Götzen und werden zu Keimzellen des Missbrauchs.

Männer und Frauen haben unterschiedliche Charismen.
Meinetwegen. Das hält Frauen und Männer aber nicht davon ab, gleichberechtigt Eltern zu sein, gleichberechtigt zu lehren, gleichberechtigt zu handeln, gleichberechtigt zu leiten. Wer sich gegen Gleichmacherei einsetzen will, der soll es bitte konsequent tun: Kein Mensch ist gleich wie der andere. Jeder und jede hat sein und ihr eigenes Charisma.

Das Priesteramt ist ein rein dienendes Amt.
Das ist – mit Verlaub – entweder verlogen oder ignorant. Solange die römisch-katholische Kirche alle entscheidenden Leitungsfunktionen an die Priesterweihe knüpft, ist das Priesteramt natürlich mit Macht verknüpft. Wäre dieses Argument ehrlich, würde die Kirche sofort alle Ämter öffnen, die nicht direkt mit einer Weihe verknüpft sind. – Das tut sie aber nicht! – Weshalb wohl nicht? – Weil es um Macht geht! – Dieser Wille zur Macht ist es auch, der das Frauenpriestertum verhindert, nicht der Wille von Jesus Christus.

Das muss die Weltkirche entscheiden.
Die katholische Kirche gibt sich gerne universell. Faktisch lässt sie jedoch permanent Sonderlösungen zu. Sie weiht beispielsweise verheiratete Männer in der Ostkirche, und sie macht verheiratete anglikanische Priester nach der Konversion zu katholischen Priestern. Tatsächlich tickt die katholische Kirche auf jedem Kontinent und in jedem Land etwas anders. Sie könnte deshalb auch beim Frauenpriestertum regionale Wege gehen – wenn sie denn wollte.

Ich habe dem Papst Loyalität geschworen.
Seit wann verlangt Loyalität den Verzicht auf eine eigene Haltung? Niemand erwartet von Bischöfen, dass sie selbstherrlich Frauen weihen. Aber sie könnten offen hinstehen und klipp und klar sagen: «Ich möchte Frauen weihen können. Und ich werde mich dafür einsetzen, dass dies in der katholischen Kirche möglich wird.» – Würden dies hunderte von Bischöfen in aller Klarheit tun, dann würde sich etwas verändern, selbst wenn sie einen Alleingang ausschliessen.

Die Einführung des Frauenpriestertums führt zur Kirchenspaltung.
Wenn es um die Erneuerung der katholischen Kirche geht, wehrt sich eine traditionalistische Minderheit lautstark gegen die Anerkennung kirchlicher Schuld, gegen ökumenische Öffnung und eben auch gegen das Frauenpriestertum. Diese Minderheit macht den Bischöfen eine Heidenangst. In dieser Angst weisen sie dann darauf hin, dass der Hirt kein Schäfchen verloren geben darf und man sich deshalb selbst um die bereits abgefallenen Piusbrüder fürsorglichst bemühen muss. Das klingt wunderbar pastoral. Nur: Die Bischöfe verlieren dauernd und rasant noch viel mehr Schäfchen. Schäfchen, die davonlaufen, weil sie sich von ihrem Hirten verlassen fühlen und nicht mehr an eine Erneuerung glauben. Weshalb werden unsere Bischöfe beim Verlust dieser Schäfchen nicht von Gottesfurcht gepackt?

Die Kirche geht unter, wenn wir Frauen weihen.
Es gab vor 50 Jahren in der Schweiz Männer und Frauen, die den Untergang der schweizerischen Demokratie befürchteten, sollten Frauen stimm- und wahlberechtigt werden. Der Untergang ist ausgeblieben – und auch die Kirche wird nicht untergehen, sollten Frauen geweiht werden. Sie wird dadurch allerdings genauso wenig gerettet. Frauen haben das Zeug, das Priesteramt ebenso überzeugend und ebenso verheerend auszuüben, wie es Männer seit Jahrhunderten tun. Gleichberechtigung ist nicht an Sonderleistungen geknüpft. Sie ist schlicht und einfach eine Frage der Gerechtigkeit.

Es gibt wichtigere Probleme als das Frauenpriestertum.
Es ist eine Lebensrealität, dass wir uns dauernd um mehrere Probleme gleichzeitig kümmern müssen. Es geht aber nicht darum, zwischen dem Kampf gegen Diskriminierung, dem Kampf gegen Umweltzerstörung und dem Kampf gegen Hunger zu wählen. Wir müssen uns all diesen Herausforderungen gleichermassen stellen. Jesus hätte jeden einzelnen Bittsteller und jede einzelne Bittstellerin mit dem Hinweis «Es gibt wichtigere Probleme als dein Problem» abwimmeln können. Hat er aber – man merke – nie getan.

Frauen machen das Priestersein kompliziert.
Zugegeben, dieses Argument wird selten so offen vorgebracht. Dennoch entsteht der Eindruck, das Frauenpriestertum werde auch deshalb verhindert, weil man den Klerus männlich halten will, weil Männer gerne unter Männern bleiben möchten. Noch immer werden Priesteramtskandidaten von einem vertrauensvollen, partnerschaftlichen Umgang mit Frauen ferngehalten. Noch immer werden Priester schief angeschaut, weil sie es «mit den Frauen zu gut können». Die Angst vor «dem Weib» geht immer noch um.

Die Zeit ist noch nicht reif
Vor 2000 Jahren war die Zeit offenkundig auch nicht für Jesus Christus reif. Sie war es nicht für Franz von Assisi und nicht für Martin Luther. Sie war es nicht für Maria Ward und nicht für Madeleine Delbrêl. Die Zeit ist nie reif. Die Frage ist: Sind die Menschen reif? Und zumindest in unserem Kulturraum liegt die Antwort offen auf der Hand: Ja, sie sind es. Sie sind sogar überreif. Meine vier erwachsenen, katholisch vorbildlich sozialisierten Kinder würden höchstens mit der Achsel zucken, wenn ihre Kirche Frauen zu Priesterinnen weihen würde. Für sie wäre das dermassen überfällig, dass sie darüber nicht einmal mehr jubeln könnten. Wenn sich Kirchenmenschen vorsichtig zum Frauenpriestertum äussern, glauben sie, den Kopf ganz schön mutig aus dem Fenster zu halten. Ich frage mich, ob sie das Fenster bereits geöffnet haben.

Ich bin für das Frauenpriestertum, wenn Rom dafür ist.
Das ist keine Haltung. Das ist eine Ausrede.