Der Krieg und die Kirchen

Schwerpunkt

Der Krieg und die Kirchen

Was sagen die Kirchen der Ukraine und in Russland zum Krieg? Stefan Kube vom Institut «Religion & Gesellschaft in Ost und West» ordnet ein. 

Um Schutz und Rettung der Ukraine flehen sie in der Sophienkathedrale in Kiew, einem der bedeutendsten Heiligtümer im Land. Vertreter unterschiedlicher Kirchen und Religionsgemeinschaften haben sich Anfang März dort versammelt, um unter dem Mosaikbild der betenden Gottesmutter für ein Ende des Blutver-giessens in der Ukraine zu beten. Gleichzeitig werden immer mehr ukrainische Städte Zielscheibe wahlloser russischer Raketenangriffe und ist die grösste humanitäre Katastrophe in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg im Gange.

Der von Putin befohlene Angriffskrieg gegen das Nachbarland schweisst die Kirchen und Religionsgemeinschaften in der mehrheitlich orthodox geprägten Ukraine zusammen. Sie engagieren sich bei der Versorgung von Flüchtlingen und deren Unterbringung, rufen die Menschen zur Freiwilligenarbeit auf und öffnen die Keller der Gotteshäuser, damit die Bevölkerung dort vor Bomben und Granaten Schutz suchen kann. Zudem beten sie für die ukrainischen Soldaten, die an der Front kämpfen.

Der von Putin befohlene Angriffskrieg schweisst 
die Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Ukraine zusammen.

Stefan Kube
Tägliche Botschaften

Dezidiert proukrainisch hatten sich bereits vor Kriegsausbruch die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) und die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK) geäussert. Die OKU ist 2018 aus der Vereinigung zweier orthodoxer Kirchen im Land entstanden, und dieser neuen Kirche hat der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel Anfang 2019 die kirchliche Unabhängigkeit (Autokephalie) zuerkannt. Dieser Schritt wurde jedoch weltweit nur von drei anderen orthodoxen Lokalkirchen anerkannt, während das Moskauer Patriarchat aus Protest die eucharistische Gemeinschaft mit Konstantinopel abbrach. Das Oberhaupt der OKU wendet sich seit Kriegsausbruch am 24. Februar mit täglichen Botschaften an die ukrainische Bevölkerung und ruft sie zum Widerstand gegen die russische Aggression auf. Gleiches gilt für das Oberhaupt der UGKK, der ebenfalls den Gläubigen Mut zuspricht und der polnischen Bevölkerung für die Aufnahme der Hunderttausenden ukrainischen Flüchtlinge in Polen gedankt hat. Die UGKK ist die zahlenmässig grösste katholische Ostkirche, die in kirchlicher Gemeinschaft mit Rom steht, aber einem ostkirchlichen Ritus folgt. 
 

Moskauer Patriarch schweigt

Aber auch die andere grosse orthodoxe Kirche in der Ukraine, die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK), die zum Moskauer Patriarchat gehört, hat den russischen Angriff auf die Ukraine klar verurteilt. Deren Oberhaupt sprach bereits am ersten Kriegstag von «Bruderkrieg». Die Kirchenleitung der UOK, der Hl. Synod, hat am 28. Februar an Patriarch Kirill appelliert, «Ihr hochpriesterliches Wort zu sprechen, damit das brudermörderische Blutvergiessen auf ukrainischem Boden aufhört. Wir bitten Sie, die Führung der Russischen Föderation aufzufordern, die Feindseligkeiten […] unverzüglich einzustellen.»

Der Moskauer Patriarch aber schweigt zum Krieg in der Ukraine, der seine eigenen Gläubigen betrifft. Zahlreiche Kirchen der UOK wurden bereits durch russischen Beschuss beschädigt oder gänzlich zerstört. Das Wort «Krieg» hat Patriarch Kirill bis heute nicht in den Mund genommen, stattdessen spricht er von «Ereignissen», die sich im Nachbarland abspielten. Wie die politische Führung im Kreml sieht sich auch die Kirchenleitung des Moskauer Patriachats in einer Verteidigungsposition gegen böse ausländische Kräfte. Mit dieser Positionierung stösst die Kirchenleitung ihre eigenen Gläubigen in der Ukraine vor den Kopf. Immer mehr Priester und Bischöfe erwähnen den Namen von Patriarch Kirill nicht mehr in der Liturgie, wie als Zeichen der kirchlichen Verbundenheit vorgesehen.


Offener Brief russischer Geistlicher

Aber auch unter den Gläubigen und Geistlichen in Russland erhebt sich Widerspruch gegen die Kirchenleitung, obwohl mittlerweile jede Art von Protest gegen den Krieg in der Ukraine vom Putin-Regime scharf sanktioniert wird. Über 300 Geistliche haben in einem offenen Brief eine sofortige Waffenruhe in der Ukraine gefordert. Der Priester Georgij Edelstejn, der seit den 1970er Jahren für seinen Einsatz für die Religionsfreiheit in Russland bekannt ist, mahnte prophetisch: «Das Blut der Einwohner der Ukraine wird nicht nur an den Händen der Machthaber der Russischen Föderation und der Soldaten, die diesen Befehl ausführen, kleben bleiben. Ihr Blut klebt an den Händen von uns allen, die diesen Krieg gebilligt oder einfach geschwiegen haben.»

Leserbrief

Wie verhält sich die russisch-orthodoxe Kirche in diesem Bruderkrieg? Der Nachrichtendienst Östliche Kirchen berichtet, dass rund 200 Priester und Diakone der russisch-orthodoxen Kirche in einem offenen Brief eine sofortige Waffenruhe in der Ukraine gefordert haben. «Mit Blick auf die gottgegebene Freiheit des Menschen erklären die Geistlichen, das ukrainische Volk müsse seine Wahl selbst treffen, nicht im Visier von Waffen und ohne Druck des Westens oder des Ostens.» In einer Petition wird Patriarch Kyrill aufgefordert, Metropolit Onufrij von der ukrainisch-orthodoxen Kirche (es gibt drei verschiedene orthodoxe Kirchen in der Ukraine) zu erhören und den Aggressor Russland beim Namen zu nennen. Wie Onufrij solle auch Kyrill den russischen Präsidenten Putin auffordern, das «kriminelle, militärische Eindringen in den souveränen Staat Ukraine zu beenden». Die Petition wurde von rund 450 Personen unterzeichnet. Ich glaube, dass die fehlende Einheit, ja das Gegeneinander der Christen und Kirchen letztlich die Ursache von all dem ist, was wir erleben.
Robert Greisser, Rüschli

Text: Stefan Kube, Chefredaktor der Zeitschrift «Religion & Gesellschaft in Ost und West»