Darf ich die Bibel umschreiben?

Eine gute Frage

Darf ich die Bibel umschreiben?

So steht es in der Bibel geschrieben: «Meine Pfeile mache ich trunken von Blut, während mein Schwert sich ins Fleisch frisst – trunken vom Blut Erschlagener und Gefangener.»

Spricht so Gott zu uns?

Wenn wir der Bibel glauben, dann tut er das, und zwar durch seinen Propheten Mose. Die Waffen, trunken vor Blut, wüten im «Lied Mose», überliefert im 32. Kapitel des 5. Buches Mose.

Ich kann und will solche Zeilen nicht als das Wort jenes Gottes lesen, an den ich glaube. Und es gibt viele solche Zeilen in der Bibel, voller Brutalität, Rachsucht, Zorn, Ausgrenzung und Erniedrigung.

Was nun? – Soll ich die Bibel neu schreiben, damit sie meinem Bild von Gott entspricht?

Die Versuchung ist gross, die Bibel schönzuschreiben oder wenigstens die besonders hässlichen Stellen zu verschweigen. Weil unser Gott doch ein gütiger Gott ist, weil Jesus barmherzig ist, so wie es in der Bibel geschrieben steht.

Ich entscheide mich gegen das Schönschreiben, weil mir diese Haltung fundamentalistisch vorkommt. Ob ich nun die Bibel wie ein Rezeptbuch lese, in der jede Zeile von Gott persönlich diktiert wurde, oder ob ich sie meinem Gutdünken anpasse, in beiden Fällen werde ich versuchen, die Bibel vor jeder Kritik abzuschirmen, sie als unanfechtbar und unfehlbar hinzustellen.

In den vielen scheinbar direkten Reden Gottes höre ich das Stammeln der Menschen. Ich sehe darin ihr fortwährendes Ringen um ein Verständnis dessen, was Gott ihnen alles an Leiden und Freuden zumutet.

Wenn es die historisch-kritische Bibel-wissenschaft nicht geben würde, hätte ich meinen Glauben an Gott längst verloren. Ich muss die Bibel als einen Quellentext lesen, geprägt vom Umfeld seiner Entstehung, den Menschen, der Zeit, der Geografie. Die Bibel ist nicht DAS Wort Gottes, sie ist ein Ringen mit Gott. Genauso wie meine Worte von Gott nicht SEINE Worte sind, weil auch ich fortwährend mit ihm ringe.

Je eindringlicher Prediger behaupten, das einzig wahre Wort Gottes zu verkünden, desto stärker wird mein Verdacht, dass genauso Gott nicht spricht. Ich glaube, Gott spricht in der Bibel so vieldeutig und missverständlich, weil wir Menschen ihn nie ganz verstehen. Und ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb Gott immer weiter zu mir sprechen wird und sprechen muss …

Text: Thomas Binotto