Nur noch sein

Glaubens-Perspektiven

Nur noch sein

Jetzt sind sie also da, die Sommerferien, auf die sowohl Kinder als auch Erwachsene schon lange gewartet haben. 

Nach Corona-Einschränkungen, Ausharren mit Schutzmassnahmen und Warten auf die Normalität sehnen wir uns nach einer Unterbrechung, nach der Weite des Meeres oder der Aussicht auf die Bergwelt, auf den heimischen Garten oder den nahen See. Wir freuen uns auf das Ausschlafen und die langen Lese-Tage sowie auf die Gespräche mit Freunden an den lauen Sommerabenden. 

Unsere beiden Kinder freuen sich vor allem darauf, im Bett liegen zu bleiben, am Morgen nicht in die Schule zu müssen – und das nicht nur für ein Wochenende, sondern für ganze fünf Wochen. Sie sehnen sich nach dem Ausbrechen aus dem Alltag, nach dem In-den-Tag-Hineinleben und dem Sich-treiben-Lassen. Und ja, sie freuen sich auf das Meer, die Toskana und das «Dolcefarniente» auf dem Zeltplatz an dem Strand, zu dem wir jedes Jahr fahren.

Ferien, das ist die Unterbrechung des Alltäglichen. In die Ferien zu fahren, heisst, aus dem Hamsterrad von Schule, Arbeit, Verpflichtungen und To-do-Listen auszusteigen. Ferien sind eine Zeit, in der man «einfach einmal sein» darf, in der man auf sich selbst zurückgeworfen wird. Ferien, das mag überraschend sein, können damit in eine direkte Verbindung mit Religion gebracht werden. 

Der Theologe Johann Baptist Metz schrieb einmal: «Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung.» Reli-gion soll uns herausreissen aus der Gewohnheit und dem Gewöhnlichen. Es ist eine Einladung, innezuhalten und einen ruhigen Blick darauf zu werfen, wo wir gerade stehen. Ferien werden damit zu einer möglichen religiösen Grunderfahrung.

Die Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis erzählt sowohl von einem aktiven Prinzip, in dem es um Tätigkeit und Schöpferkraft geht, als auch von einer Unterbrechung derselben und einer Heiligkeit der Ruhe. Die Bibel erzählt uns nicht davon, dass die Menschen am Sonntag nicht arbeiten sollen, sondern dass Gott nach dem Schöpfungsakt ruht – und dadurch diese Ruhe heiligt. Die Vollendung kommt in der Schöpfungsgeschichte also nicht durch Aktivität, sondern durch die Musse zustande. Diese Heiligung der Ruhe kann in unserer Zeit der Masslosigkeit und der Burnout-Erkrankungen eine wichtige und heilsame Botschaft sein. Die Ruhe, die Erholung, ja der Müssiggang haben eine tugendhafte, heilige Qualität. Mit dieser Sicht können Ferien zu einer geheiligten Zeit werden – oder, noch einmal auf den Punkt gebracht: Wenn Religion Unterbrechung ist, dann sind Ferien Gottesdienst.

In diesem Jahr werde ich deshalb versuchen, keine Arbeit mit in die Ferien zu nehmen, ausschliesslich für meine Familie da zu sein und das Leben zu genies-sen. Dazu können die Kinder unsere Lehrer*innen sein. Das In-den- Tag-Hineinleben beherrschen sie auf jeden Fall bereits recht gut. 

Text: Daniel Ritter