Ratha Yatra am Zürichsee

Welt der Religionen

Ratha Yatra am Zürichsee

Einmal im Jahr verwandelt sich die Zürichseepromenade zu einem aussergewöhnlichen Schauplatz. 

Es ist das Ratha Yatra, ein spirituelles Wagenfest, welches Badegäste und Sonntagsspaziergänger überrascht und einen Einblick in die Kultur und Religion Indiens ermöglicht. 

In meiner Funktion als Priester stehe ich jeweils auf einem grossen, bunten und mit Blumen dekorierten Prozessionswagen. Während des dreistündigen Umzugs besteht meine Aufgabe darin, Prasad (heilige Speisen in Form von Früchten) an die Passanten zu verteilen. Die Parade wird von kirtana, dem gemeinsamen Singen der Namen Gottes, begleitet. Der Klang der Zimbeln und Mantras erfüllt den Äther und Hunderte von Krishna-Gläubigen und Sympathisanten tanzen gemeinsam nach den Rhythmen der Trommeln. Doch weshalb feiern wir dieses Fest? Wo hat es seinen Ursprung?

Das Ratha-Yatra-Wagenfest ist ein jahrtausendealtes Festival, welches dem Krishna-Bhakti-Glauben entspringt. Das Wort ratha bedeutet Kutsche oder Wagen und das Wort yatra steht für Pilgerreise, Prozession oder Fest. Unzählige Hindu-Traditionen in Indien kennen ähnliche Feiern. Das Festival in Jagannatha Puri, im Nordosten Indiens, geniesst jedoch eine besonders grosse Beliebtheit. Als ich vor rund zwanzig Jahren einmal das Glück hatte, daran teilzunehmen, wurde die Parade von über drei Millionen Pilgern besucht. Für mich ist es sehr beeindruckend, mit wie viel Aufwand und Hingabe solche Feste gefeiert werden – der Enthusiasmus dafür scheint in Indien keine Grenzen zu haben! So bauen sie dort die drei grossen Wagen, welche vierzehn Meter hoch und zehn Meter breit sind, jedes Jahr neu – und dies ohne den Gebrauch eines einzigen Nagels oder einer Schraube! Der grösste Wagen bewegt sich auf sechzehn hölzernen Rädern und wird von Hunderten von Menschen gezogen. 

Das Wagenfest findet zur Freude Krishnas statt. Gott wird in Puri als Jagannatha (Herr des Universums) verehrt, gemeinsam mit Baladeva und Subhadra, zwei weiteren göttlichen Formen. Sie sind es, welche auf diesen Wagen sitzen und einmal im Jahr ihren Tempel verlassen. Die tiefere Bedeutung dieses Festes hat mit unserer Hingabe an Gott zu tun. Der Besuch im Tempel soll unsere verlorengegangene Beziehung wieder vertiefen. Doch wenn wir nicht zum Tempel kommen, so kommt Gott zu uns. Das Ziehen des Wagens steht symbolisch dafür, dass wir Gott wieder in unsere Herzen zurückbringen wollen. Wir wollen Gott also in unserem Alltag wieder den gebührenden Platz einräumen. 

Heutzutage findet das Fest nicht nur in Jagannatha Puri statt, sondern überall auf der Welt – von Tokio bis Los Angeles, von London bis Durban. Es war Swami Bhaktivedanta Prabhupada (der Gründer der Krishna-Bewegung), welcher das Fest in den Westen gebracht hatte. In der Schweiz fand das erste Ratha Yatra 1978 in Genf statt und wird seit vielen Jahren auch in Zürich durchgeführt. Das nächste Mal kann die bunte Parade am 3.  Juli 2022 bestaunt werden. Im Anschluss findet auf dem Bürkliplatz ein kulturelles Fest statt, wo es neben Bharat-Natyam-Tänzen und erfrischendem Mango-Lassi noch vieles mehr zu entdecken gibt! 

Text: Krishna Premarupa