Ich bringe ein prall gefülltes Stadion zum Staunen und entdecke den Schlüssel zur Erklärung der Welt. Kein Wunder, werde ich von Roger Federer, Reinhard Mey und dem Papst um Rat gebeten.
Und manchmal, ja manchmal breite ich einfach meine Flügel aus und erhebe mich über jede Schwerkraft. In diesen Momenten ist das Glücksgefühl so gewaltig, dass es anhält, selbst wenn ich aus meinem Traum erwache. Sofort aufschreiben, dieses schlagende Argument! Festhalten, die Lösung aller Probleme!
Bei Tageslicht entpuppen sich meine Geistesblitze allerdings als genauso unbrauchbar, wie all das, was Alfred Hitchcock im Schlaf zugefallen ist. Auch er wollte seine Genialität festhalten und legte deshalb auf dem Nachttisch einen Notizblock bereit. Als er am Morgen nachlas, stand da als Idee für seinen nächsten Film: «Mann liebt Frau.»
Die Ehrlichkeit verlangt von mir, dass ich gestehe: Auch bei Tageslicht werde ich immer wieder von meiner eigenen Genialität eingeholt. Schon als kleiner Junge soll ich zu meiner Mutter gestürmt sein und – von mir selbst völlig begeistert – ausgerufen haben: «Mami, ich han en idee erfunde!»
Die Erinnerung meiner Mutter muss glaubwürdig sein, denn dieses Gefühl, das mich damals gepackt hat, kenne ich heute noch. Wenn mich Papst Franziskus nur liesse, ich würde ihm mit zwingender Eindringlichkeit erklären, woran die Kirche leidet und woran sie genesen wird. Am Ende würde Franziskus mit feuchtem Auge erlöst seufzen: «Dank sei Gott, dass er mir durch dich Erleuchtung schenkt.»
Ist die Bekehrung des Franziskus geschafft, durchdringe ich mit messerscharfer Logik alle anderen Probleme der Menschheit. Ich weiss dann, wie die Politik funktionieren muss, analysiere restlos jedes Beziehungschaos und entdecke jenes Wundertrickli, mit dem wir mit dem Computer tatsächlich erstmals Zeit gewinnen.
Drüber geschlafen, erweisen sich meine selbst erfundenen Ideen dann allerdings als uralte Weisheiten – oder ebenso uralte Irrtümer. Und immer taucht da dieses kleine Detail auf, mit dem ich nicht gerechnet hatte, meistens hat es mit jener Unwägbarkeit zu tun, die wir «Mensch» nennen. Meine Logik mag noch so messerscharf sein, die Realität hält sich einfach nicht daran.
Sobald sich der Rauch meiner Genialität verzogen hat, erinnere ich mich jeweils an einen meiner Lieblingskrimis. 1913 veröffentlichte E.C. Bentley «Trents letzter Fall». Darin durchdringt die Hauptfigur dank brillanter Analyse einen verzwickten Mordfall. Seine Schlussfolgerung ist ein Musterbeispiel dafür, was mit zwingender Logik alles zu erreichen ist. Einziger Makel: Die brillante Lösung des Falls ist … falsch. Und das wars dann mit seiner und mit meiner Genialität.