Dauerbrenner AHV

Abstimmung vom 3. März

Dauerbrenner AHV

Der Sozialethiker Thomas Wallimann skizziert Entscheidungshilfen aus ­christlich-ethischer Sicht zur Abstimmung über die beiden AHV-Vorlagen. Er findet: Es geht weniger um Geld, als vielmehr um die Frage, wie wir unser Zusammenleben verstehen.

Die AHV bildet das Kernstück der Altersvorsorge. Schon 1925 wurde der verfassungsmässige Grundstein dazu gelegt. Doch erst 1947 wurde dem entsprechenden Gesetz zugestimmt und seit 1948 werden Renten ausbezahlt. Die Leistungen der AHV wurden über die Jahre immer wieder angepasst und ausgebaut.

Da die Altersvorsorge sicherstellen soll, dass ältere Menschen ein eigenständiges Leben führen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, bedeutet Altersvorsorge mehr als nur Existenzsicherung. Auch aus diesem Grund kamen über die Zeit die Säule der beruflichen Vorsorge (Pensionskasse, obligatorisch seit 1985) und die individuelle, persönliche Selbstvorsorge (3. Säule 3a) hinzu.

Schliesslich gibt es seit 1966 den Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL), wenn trotz allem das Renteneinkommen die minimalen Lebenskosten nicht deckt. Um diese zu erhalten, muss man einen Antrag stellen. Finanziert wird die EL durch Steuergelder.

Vertrauen auf die Zukunft

Die AHV ist eine Versicherung, deren «Schadensfall» dann eintritt, wenn jemand ins Pen-sionsalter eintritt. Die einbezahlten Beiträge während der Erwerbszeit werden jeweils direkt an die AHV-Bezügerinnen und -Bezüger überwiesen (Umlageverfahren). Nebst den Beiträgen der Erwerbstätigen und Arbeitgebenden (Lohnprozente, 73 %) finanziert sich die AHV aus Steuern (Spielbanken, Tabak-, Alkohol- und Mehrwertsteuer 8,1 %) sowie Bundesbeiträgen (20 %).

Auch die 2. Säule kennt Elemente einer Versicherung. Doch 2. und 3. Säule sind individuelle Sparlösungen. Was eine Person während der Erwerbszeit angespart hat, kann als Kapital oder Rente aus dem angesparten Kapital bezogen werden. Aus diesem Grund gibt es auch Lösungen, dass beim Tod das angesparte Kapital an erbberechtigte Personen gegeben wird. Bei der 2. und 3. Säule spart man vereinfacht gesagt für sich selbst und vertraut darauf, dass in Zukunft, wenn man pensioniert wird, die Pensionskasse die versprochene Rente – dank guter Wirtschaftsentwicklung – ausbezahlt. Bei der AHV werden mit den Beiträgen Arbeitender direkt die jetzige Rentnergeneration finanziert – und man vertraut darauf, dass dies auch bei der eigenen Pensionierung die dannzumal arbeitende Generation tun wird.

Herausforderung

Weil in den nächsten Jahren viele Menschen ins AHV-Alter kommen (die sogenannte Babyboomer-Generation), müssen die Erwerbstätigen mit ihren Beiträgen nicht nur die AHV für mehr Leute finanzieren, sondern auch für Menschen, die voraussichtlich länger leben werden. Erst ab 2050 ist wieder mit einer Entlastung zu rechnen. Nebst der Anzahl Beitragszahlender spielt jedoch auch die Gesamtlohnsumme der Wirtschaft eine Rolle, da der AHV-Beitrag keine Lohnobergrenze kennt. Aus diesen Gründen ist die Einkommensseite der AHV eine stetige Herausforderung. Gemäss den gegenwärtigen Berechnungen gestaltet sich die Rechnung der AHV bis 2033 ausgeglichen. Käme eine 13. Altersrente hinzu, müsste spätestens ab 2027 auf der Einkommensseite nach neuen Mitteln gesucht werden, während eine Rentenaltererhöhung naturgemäss die Finanzierung weit über 2030 hinaus sichert, gleichzeitig das Erwerbslosigkeitsrisiko der über 60-Jährigen verlängert und damit aber an anderen Orten Kosten zu verursachen droht.

Miteinander im gleichen Boot

Wie viel Geld wir als Gesellschaft für die AHV ausgeben wollen, ist im Kern nicht so sehr eine Finanz-, sondern eine ethische Frage. Es geht darum, wie wir Solidarität und Gemeinwohl verstehen, welche Bedeutung wir dem einzelnen Menschen, seiner Eigenverantwortung wie auch der Gesellschaft, dem Miteinander und dem Aufeinander-angewiesen-Sein geben.

Je mehr wir nur den einzelnen Menschen sehen und ihm einzig die Sorge für sich selber zuschreiben, desto weniger haben Solidarleistungen und Gemeinwohlüberlegungen Platz, desto mehr ist Teilen eine freiwillige Angelegenheit. Das drückt sich in Begriffen wie «Umverteilung» und «Giesskannenprinzip» aus.

Grundsätzlich stellt auch eine christliche Ethik den einzelnen Menschen und dessen Verantwortung für sein eigenes Leben ins Zentrum gesellschaftlicher Ordnungen. Doch dies ist nicht alles! Nicht alle Menschen leben auf der Sonnenseite des Lebens – häufig unverschuldet. Und so sind Menschen immer aufeinander angewiesen und aufeinander bezogen. Wir sitzen alle im gleichen Boot!

Darum – so der christliche Solidaritätsgedanke – gilt es, füreinander zu sorgen. Ob es also wirklich um die Sorge für den Menschen geht, zeigt sich darum auch im Umgang mit den Benachteiligten und Schwachen. Daran erinnert die Präambel der Bundesverfassung. Diese Form von Solidarität verpflichtet die Vermögenden zum Teilen. 

Gleichzeitig erinnert das Gemeinwohlverständnis daran, dass immer wieder gefragt und ausgehandelt werden muss, wer welche Lasten zu tragen vermag und wer welchen angemessenen Nutzen erhalten soll. Denn alle sind gleichwertig, und damit es allen gut geht, müssen Lasten und Nutzen angemessen verteilt sein. In der AHV lassen sich diese beiden Grundsätze gut wiedererkennen. Die AHV macht alle gleich, denn alle erhalten die AHV – und alle tragen ihren Beitrag zu ihrer Finanzierung bei – auch wenn sie von den Starken mehr Beiträge als von den Schwachen verlangt.

Entscheidung

Vor dem Hintergrund christlich verstandener Solidarität und Gemeinwohl sind die Begriffe von «Umverteilung» oder «Giesskannenprinzip» mit ihrem oft moralisierenden Unterton kritisch zu betrachten. Viel entscheidender steht die Frage im Raum, wie wir den Ausgleich zwischen Arm und Reich in der Rentnergeneration schaffen, was wir vermögenden Kreisen zumuten und wie wir den jüngeren Generationen das Gefühl geben, dass auch sie in Zukunft auf die ihnen nachfolgenden Generationen vertrauen dürfen.

Text: Thomas Wallimann-Sasaki