Ein Bischof mit Familie – gewählt von der Gemeinde

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Ein Bischof mit Familie – gewählt von der Gemeinde

In den Sommerferien stand ich in Erfurt in der Severikirche an einem seltsamen steinernen Sarkophag: Zwischen seiner Frau Vincentia und seiner Tochter Innocentia liegt hier der heilige Severus begraben, Bischof von Ravenna im 4. Jahrhundert. 

Die Legende erzählt, dass Severus, ein Wollweber, zu Pfingsten 342 in Ravenna weilte, als die dortige Gemeinde einen Bischof wählte. Plötzlich flog eine Taube in den Saal, kreiste über Severus – der an der Wahl eigentlich unbeteiligt gewesen war – und setzte sich dreimal auf seine Schulter. Die Gemeinde deutete dies als göttliches Zeichen und wählte ihn darauf hin zum Bischof. 

Wie auch immer man diese Legende interpretieren möchte, so fällt doch eines auf: Aus Gründen, die wir historisch nicht mehr kennen, war man in Ravenna der Ansicht, dass Severus der richtige Mann zur richtigen Zeit für das Amt des Bischofs war. Dass man im 4. Jahrhundert die Wahl einer Bischöfin nicht einmal ansatzweise erörtert hat, das hat sich bis heute nicht geändert. 

Allerdings sieht eine Bischofswahl heute völlig anders aus. Im Allgemeinen herrscht für Nicht-Eingeweihte – und das sind praktisch alle – der Eindruck, dass hier irgendwer aus der Bischofskongregation in Rom mit irgendwem in der Ortskirche unter heftiger Beteiligung des Nuntius vereinbart, wer als Bischof angefragt werden könnte. Nach einiger Zeit kursieren intern und zunehmend dann auch in der nichtkirchlichen Presse Namen der möglichen Kandidaten. Diese sehen sich sehr bald gezwungen, in der Öffentlichkeit Statements abzugeben, die je nach Charakter mehr oder weniger zustimmend bzw. geschmeichelt ausfallen. Eines Tages erfährt das Kirchenvolk dann meist aus den Medien, dass es einen neuen Bischof hat, mit dem es nun die nächsten Jahre irgendwie leben muss. Anders als in der frühen Kirche werden die Gläubigen heute weder informiert noch eingebunden, ganz zu schweigen von einem Recht auf Abstimmung oder Zustimmung. 

Dieser «Auswahlmodus» ist typisch für eine zentralistisch regierte, monarchische Institution, die auf Transparenz und interne oder externe Kontrollmechanismen verzichtet. Diese Weise, eine Führungsperson zu wählen, ist weltweit zunehmend einzigartig, weil nur noch autoritären Disktaturen eigen. Sie hat den Bistümern in den letzten Jahrzehnten immer wieder Bischöfe beschert, die von der grossen Mehrheit des Kirchenvolkes mehr als kritisch beäugt bzw. offen abgelehnt wurden. Der von der eigenen Institution übergangene «sensus fidelium» – der Glaubenssinn der Menschen – macht seinem Unmut oft durch Austritte Luft. Die Kluft zwischen vielen Bischöfen und dem Kirchenvolk ist spürbar und weltweit gewachsen. Das ist nicht nur eine Frage von individuellem Charakter und Persönlichkeit, ob ein Bischof nun klerikal ist oder nicht. Es ist in erster Linie eine institutionelle Frage. Man muss die Kirche nicht zu einer parlamentarischen Demokratie umfunktionieren, um heute die Zeichen der Zeit deutlich zu erkennen: Macht braucht Transparenz und Kontrolle, gerade in einer stark hierarchischen Institution wie der Kirche. Die Verweigerung längst fälliger kirchenrechtlicher Reformen in diese Richtung verschleppt diesen Schritt. Auch wird bei der bischöflichen Leitungsmacht gerne von der «Macht als Dienst» gesprochen, eine Spiritualisierung, die die Notwendigkeit verschleiert, die Leitungsmacht verantwortlich zu gestalten. Dabei ist Macht nichts anstössiges, wenn sie «power to» ist, als «Macht zu», und wenn sie nicht verkommt zu «power over», also zur «Macht über» andere. Im Gegenteil: Macht ist fixer Bestandteil sozialer Praxis, wenn Menschen etwas miteinander bewirken und gestalten wollen. Als solche muss sie gerecht verteilt, transparent geregelt und kontrolliert werden – unter Einbindung der Gläubigen und zum Wohl aller Beteiligten, auch der Bischofskandidaten selbst. Ein Bischof, der gegen seine eigene Diözese arbeiten muss, weil er an der Basis keinerlei Rückhalt hat, hat seine Autorität schon vor seiner Ernennung verloren und ist nicht handlungsfähig. 

Die Kirche hat einen Auftrag. Wenn sie sich weiterhin überfälligen institutionellen und kirchenrechtlichen Reformen unter Einbindung der Gläubigen vor Ort verweigert, dann wird sie weiterhin rasant auf ein kleines Häuflein treu ergebener «Untertanen» zusammenschrumpfen. Dem Auftrag, die Frohe Botschaft Jesu Christi in die Gesellschaft hineinzutragen, wird sie dann nicht mehr gerecht. 

Text: Angelika Walser, Professorin an der Universität Salzburg