Eine etwas andere Waldweihnacht

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Eine etwas andere Waldweihnacht

Die traditionelle Feier der Jubla-Schar Säuliamt war coronabedingt abgesagt worden. Für seine Mädchen-Gruppe fing Leiter Simon den Zauber von Weihnachten trotzdem ein. 

Das magische Buch war fest verschlossen. Erleuchtet von Rechaudkerzen stand es angelehnt an den Stamm einer kleinen Tanne auf dem Waldboden. Sein Geheimnis preisgeben sollte das mysteriöse Buch erst, wenn der Baum festlich geschmückt war. «Ich versuche, die Gruppenstunden immer mit einer Geschichte verknüpfen», sagt Simon, der in der Jubla Säuliamt die Gruppe der «mittleren Mädchen» leitet. Mit seinen Mitleitern Jonas, Yanik und Silvan und zehn Kindern war er zuvor vom Pfarreizentrum St. Josef in Affoltern am Albis in ein nahes Waldstück marschiert. Für die zweiwöchentlichen Treffen sucht Simon gerne Orte in der Natur aus. Die Anweisungen des Bundes, der als Corona-Schutzmassnahme empfiehlt, Aktivitäten ins Freie zu verlegen, setzt er dabei eher unbewusst um. «Mir ist auch sonst wichtig, dass sich die Kinder in ihrer Freizeit draussen aufhalten, dabei etwas lernen und sich austoben können», sagt der 19-Jährige, der im vierten Jahr seiner Lehre als Zimmermann ist.

Den Resten des ersten Schnees, die an diesem Samstag vor St. Nikolaus noch am Wegrand lagen, konnten die Mädchen im Alter von acht bis elf Jahren nicht lange widerstehen und schon flogen die ersten Schneebälle. Beliebte Ziele waren die vier Leiter, welche die nass-kalten Angriffe geduldig über sich ergehen liessen. Ihre Aufforderung zum Sammeln von Holz lenkte von der weissen Pracht ab. Mit vereinten Kräften gelang es, den feuchten Ästen ein kleines Feuerchen abzutrotzen.

Dann musste ein Baum gefunden werden, der sich zum Schmücken eignete – denn das war ja der Schlüssel zum magischen Buch. «Chum, mir nämed dä» – «Nei, dä – dä isch viel schöner!», schallte es durch das Gehölz. Die Wahl fiel auf eine junge, eigenwillig gewachsene Tanne. Die neun Mädchen und ein kleiner Junge, der den Anschluss an seine eigene Jubla-Gruppe verpasst hatte und kurzerhand mitgenommen worden war, machten sich auf die Suche nach passender Zierde. Einige hatten Christbaumschmuck von zu Hause dabei, andere bastelten mit dem Material, das die Leiter mitgebracht hatten. Lena und Selma formten aus kleinen Hölzchen Sterne und fixierten diese mit Wollfäden. Lia hatte die Idee, bunte Blätter zu Christbaumkugeln zusammenzuknüllen, und half den Kleineren, ihre Papierkugeln mit Schnur zu umwickeln, sodass sie am Baum befestigt werden konnten.

Sie gehe gerne in den Wald, sagte die 10-jährige Norah, die bei der Jubla mitmacht, weil das bereits ihre Mutter getan hat. Seit drei Jahren ist sie dabei und hat auch ihre besten Freundinnen in die Gruppe gebracht: die Schwestern Ladina und Andrina. Bei den Mädchen sei das oft so, dass sie ihre Kameradinnen mit in die Jubla brächten, erklärt Simon. Nachwuchssorgen kennt er im Moment keine, im Gegenteil: Im Sommer war seine Gruppe auf 26 Mädchen angewachsen und musste geteilt werden. «Bei den Jungs sieht die Situation leider etwas anders aus, da zählen wir deutlich weniger Kinder», sagt er. Zurzeit umfasst die Jubla-Schar Säuliamt 75 Mädchen, Jungs und Leiter, von denen die meisten junge Männer sind. «Das ist eher ungewöhnlich», schmunzelt Simon, der den schwarzen Schar-Pulli mit den aufgedruckten grünen Säuli trägt. Er war schon als Zweitklässler in der Jubla und ist seit drei Jahren mit der gleichen Begeisterung im Leitungsteam: «Man lernt planen, organisieren, mit Menschen umgehen und Verantwortung zu übernehmen, das hilft mir auch sonst im Leben.»

«Seine» Mädchen waren fertig mit dem weihnachtlichen Schmücken des Bäumchens. Für einen kurzen, feierlichen Moment standen sie im Halbkreis zusammen und betrachteten ihr Gemeinschaftswerk, dann siegte der Hunger. Sie kramten ihre Zvieridosen aus den Rucksäcken und scharten sich ums Feuer. Vor Corona wurden Brot, Äpfel und Schokolade geteilt, nun musste jedes Kind seine eigene Verpflegung mitbringen. Ansonsten, erklärten die älteren Mädchen, hätten sie nicht das Gefühl, wegen Corona Einschränkungen erfahren zu haben. «Nur auf der Rückfahrt vom Sola mussten wir eine Maske tragen, das war doof», sagte Andrina, die Jüngste der Gruppe. Der Eindruck des erklärten Jahreshöhepunktes jeder Jubla-Schar, des zweiwöchigen Sommerlagers, hing bei den Kindern noch nach und machte vergessen, dass während des Lockdowns keine Jubla-Aktivitäten stattfanden. Über das Jahr fiel fast die Hälfte der geplanten Anlässe weg. Und weil das Schutzkonzept von Jungwacht Blauring Schweiz seit Herbst die Reduktion der Aktivitäten auf Gruppenstunden verlangt, musste auch die Waldweihnacht, die sonst mit der ganzen Schar gefeiert wurde, abgesagt werden.

Ebenfalls verboten ist zurzeit das gemeinsame Singen. Der Gesprächsstoff ging den Mädchen am Lagerfeuer aber nicht aus. Munter plauderten sie während des Zvieris drauflos und neckten ihre Leiter. Unbemerkt löste sich in dieser Zeit das rote Band, welches das magische Buch unter Verschluss gehalten hatte. Mithilfe seiner Leiterkollegen hatte Simon zuvor ein grosses Loch in die Seiten des dicken Wälzers geschnitten, den er vor der Müllabfuhr bewahrt hatte. In der Aussparung versenkten sie einen kleinen, funkgesteuerten Lautsprecher. Als Simon nun mit dem magischen Buch vor die Kinder trat, erklang daraus eine Stimme. Und selbst die vorlautesten unter den Girls lauschten gespannt, als der Samichlaus den Grund für seine Abwesenheit erklärte und sie lobte, weil sie fleissig die Anlässe besucht hatten. Als der Chlaus sie aber ermahnte, etwas weniger frech zu ihren Leitern zu sein, war es vorbei mit dem magischen Moment und die Mädchen brachen in heiteres Gekicher aus.

Text: Angelika Nido, freie Journalistin BR