Bei meinem letzten Besuch in Wien war ich im Theater. Es ging um ein Dorf namens Maria Blut und es ging um Frömmigkeit.
Anhand des kleinen Kosmos eines Dorfes wurde – wie oft im Theater – etwas von dem dargestellt, was «allgemein menschlich» ist, was alle Menschen zu allen Zeiten betrifft. Oder betreffen könnte.
Alle in Maria Blut trugen dieselben Kleider. Dieselben viel zu grossen Köpfe. Köpfe aus Plastik, gleichförmig, mit bloss wenigen, kleinen Unterschieden. Verschlossen jeder Mund, starre blaue Augen, leere Blicke. Und während sich die zu klein geratenen menschlichen Körper über die Bühne bewegten, glotzten diese Köpfe dumm in die Gegend. Und die Stimmen kamen aus dem Off. Es war erschreckend. Und faszinierend.
Das Stück hat viel in mir ausgelöst. Zum Beispiel die Frage, wie ich zu einem Individuum werde. Wie ich für andere zu der einen werde, die sich unterscheidet. Die sich abhebt aus einer Masse, einer Vielzahl. Wie kann ich einen Unterschied machen – und das nicht für alle und jeden, sondern für konkrete, für einzelne Menschen? Wie kann ich bedeutend werden, nicht zum Selbstzweck, sondern um etwas beizutragen?
Und am Sonntag dann in der Kirche las mir der Jesuit ein Evangelium: «Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.»