Manche Zeitgenossinnen und -genossen haben eine Erklärung dafür: «Schlechtes Karma». Damit meinen sie (hoffentlich mit einem Augenzwinkern), dass die, denen Unglück widerfährt, vorher etwas Schlechtes getan haben. Die Missetat wird über kurz oder lang nach dem Prinzip einer ausgleichenden Gerechtigkeit vergolten. Schlechtes Karma eben.
Aber auch gutes Karma soll es geben: Zum Beispiel, wenn ich das mitten auf dem Trottoir parkierte E-Trottinette an die Seite stelle oder meiner Tante ihr neues Tablet zum dritten Mal geduldig erkläre. Diese alltäglichen Heldentaten stehen nicht einfach nur für sich – ich sammle en passant auch gutes Karma. Je nach persönlicher Weltanschauung wird sich das entweder schon in diesem oder spätestens im nächsten Leben auszahlen.
In einer ökonomisch geprägten Welt liegt es nahe, an Leistung und «Return on Investment» zu denken und diese Kategorien auch auf die eigene Ethik und Weltanschauung zu übertragen. Gewiefte Detailhändler machen sich das zunutze und preisen Produkte an, die «Karma» oder «innocent» im Namen tragen. Die Botschaft: Je mehr du davon kaufst, desto moralisch besser bist du und desto mehr Glück wird dir widerfahren.
«Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus»: Damit hat der Volksmund sicher recht. Auf der unmittelbar zwischenmenschlichen Ebene gibt es einen unleugbaren Zusammenhang zwischen meinem Handeln und der Reaktion anderer. Möchten Sie das überprüfen? Warten Sie damit, bis Sie wieder einmal schlechte Laune haben – der Erfolg wird nicht lange auf sich warten lassen.
Darüber hinaus ist mir die Karma-Auffassung allerdings suspekt. Wenn ich sie konsequent weiterdenke, sehe ich eine erbarmungslose und berechnende Welt: Darin sind die Leidenden selbst schuld an ihrem Schicksal. Die Reichen suhlen sich in der Gewissheit, ihr Glück verdient zu haben. Und wer anderen etwas Gutes tut, hat dabei vor allem das eigene Karma-Konto im Kopf. Jeder Anflug von Selbstlosigkeit wird von der in Aussicht stehenden Belohnung unterlaufen.
Meine christliche Weltsicht ist eine andere: Leiden ist selten selbst verschuldet und bleibt im Ganzen ein Rätsel. Glück ist meist ein Geschenk und oft ungerecht verteilt. Beides verlangt nach Solidarität – und zwar nach einer, die nicht aus Sorge um das eigene Glück erwächst, sondern aus dem glaubenden Vertrauen, dass mir bei Gott nichts fehlt.