Vielfalt als Herausforderung

Bericht aus Indien

Vielfalt als Herausforderung

Transgrender ist in Indien als drittes Geschlecht anerkannt. Trotzdem stehen sie immer noch am Rande der Gesellschaft.

Festivals gehören zum Leben in Indien dazu. Viele werden im ganzen Land gefeiert, wie zum Beispiel das Frühlingsfest Gudhi Padwa. Es markiert den Beginn des neuen Jahres im Hindukalender und ist ein Symbol für Hoffnung und Glück. Es hat sowohl eine kulturelle als auch religiöse Bedeutung und stärkt die Gemeinschaftsbildung. Dieses Jahr fiel Gudhi Padwa auf den 22. März, und ich wurde von Bekannten von Anam Prem eingeladen.

Anam Prem ist eine spirituelle Bewegung im Hinduismus. Die Basis ihrer Aktivitäten basiert auf «vorbehaltloser Liebe», «Liebe ohne Erwartungen». Diese reine Form der Liebe wollen sie in der Gesellschaft verbreiten. Für Gudhi Padwa hatten sie einen Nachmittag für nichtindische Teilnehmende organisiert. So fand ich mich mit Personen aus China, Italien und Brasilien zusammen. Auch einige Transmenschen waren mit dabei. 

Meine Freunde von Anam Prem haben mich schon immer mit ihren Aktivitäten überrascht, die sich auf Personen konzentrieren, die am Rande der Gesellschaft stehen und wenig Beachtung erhalten. Einer meiner ersten Kontakte mit ihnen war ein Flohmarkt in einer katholischen Pfarrei. Dort gab Anam Prem der Transgender-Gemeinde eine Möglichkeit, aus der Anonymität herauszukommen und ihre Produkte zu verkaufen. Transmenschen sind in Indien seit 2019 gesetzlich als drittes Geschlecht anerkannt. Trotzdem werden sie weiterhin ziemlich ausgegrenzt und diskriminiert. Bei diesem Flohmarkt machte ich selber die Erfahrung, wie meine ursprüngliche Zurückhaltung sich nach und nach in Wohlwollen auflöste. Durch den direkten Kontakt mit Menschen, die mir ihre Erfahrungen erzählten, hatte sich mir ein persönlicher Zugang zu dieser Gemeinschaft eröffnet. 

Während wir also an Gudhi Padwa mit den typischen Bräuchen begrüsst wurden, tauchten wir alsbald in ein farbenfrohes Programm ein. Wir erfuhren, dass Tilaka oder Tika – ein roter Punkt auf der Stirn, der von vielen Frauen getragen wird – das 3. Auge symbolisiert, welches unsere Innerlichkeit ausdrückt. Dann tauchten wir in klassische indische Musik ein, mit Gesang und traditionellen Instrumenten, die mit einem brillanten Flötenkonzert endete. Alles diente dazu, uns in Verbindung mit dem Göttlichen zu bringen. Der schönste Augenblick war jedoch der Moment, als einige Transmenschen speziell begrüsst wurden. Wir erfuhren, wie auch sie sich als Teil dieser Familie fühlen und begonnen haben, kleine Gesten der Liebe zu verstreuen, so wie sie es selber erfahren durften.

Der Abend endete mit einem gemeinsamen Essen in traditionellen Kostümen und Gerichten. Die Freude war gross unter allen Beteiligten. Mit frohem Herzen und neu geknüpften Freundschaften fuhr ich nach Hause. Inmitten grosser Verschiedenheit sind wir einander nahegekommen.

Text: Jutta Beyer